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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0029
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Die Reservearmee des Kapitals.

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bildung, die wir soeben beim Lohnpflügen bemerkten, sichert
der Reservetruppe des Kapitals vor dem genossenschaftlichen
Besitz auch hier meist den Vorzug.

In der Industrie hat sich aus der alten Hausindustrie, die wir
in ihrer früheren und teilweise nocli jetzt geltenden Rolle als
Kapitalreservoir schon kennen lernten, vielfach eine moderne
Lohnindustrie entwickelt. Ihr Hauptsitz in Deutschland ist das
bergische Land, wo sie in der Kleineisenindustrie wie in der Industrie
der Besatzartikel noch immer die Hauptrolle spielt. Bredt hat sich
das Verdienst erworben, am Beispiel Barmens, sie zuerst genauer
analysiert und in ihrer Entwicklung klargelegt zu haben. Hier han-
delt es sich nur noch zum geringeren Teil um bloße Lohnarbeiter oder
kleinere Betriebe. Die Lohnarbeit hat unter Verleugnung ihres
Ursprungs eine starke Konzentration erfahren; als ,,Lohnindustrie“
stellt sie das eigentlich stehende Kapital. Ihr Vertreter ist daher
oft ein weit größerer Industrieller als der Auftraggeber. Der soge-
nannte Fabrikant ist, obwohl es auch an kombinierten Betrieben
nicht fehlt, meistens mehr kaufmännischer Unternehmer wie in der
hausindustriellen Zeit geblieben; er arbeitet mit dem mobilen Kapi-
tal. Nun liegt allerdings ein Grund für die Entwicklung der Lohn-
industrie auch darin, daß sie z. B. beim Härten und Schleifen der
Klingen, beim Färben und Appretieren der Garne und Stoffe eine
besondere technische Geschicklichkeit erfordert und deshalb nach
dem allgemeinen Gesetz der Berufsgliederung sich abgesondert hat.
Wichtiger aber sind namentlich bei den Barmer Artikeln die
wirtschaftlichen Gründe.

Die Lohnindustrie dient nämlich dazu, die Zufälligkeiten der
Modeindustrie, bei der sowohl die Beschäftigung im ganzen
schwankt, wie insbesondere die Aufträge für die einzelnen Fabrikan-
ten je nach Beliebtheit ihrer Muster wechseln, in geeigneter Weise
auszugleichen. Andernfalls, wenn der Fabrikant selber das Ka-
pital hielte, würde er zu oft in die Lage kommen, einen beträchtlichen
Teil desselben nicht beschäftigen zu können 1, ebenso aber könnte
er auch bei gutem Geschäftsgang nicht so rasch liefern wie
es bei diesen Artikeln nötig ist. Die Hauptgefalir einer schlechten

1 Dagegen beobachtele ich bei meinem letzten Aufenthalt in Barmen,
daß die Fabrikanten oft für die von ihnen beschäftigten Lohnindustriellen
die Riementische selber herstellen. Dies ist aber nur eine Sicherung für ihre
Muster, die ihnen andernfalls sofort nachgemacht werden würden, nicht ein
Übergang zu verstärkter Kapitalhaltung.
 
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