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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0031
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Die Reservearmee des Kapitals.

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Einige Beispiele werden dieses Verhältnis klarmachen. Die
Großmühle ist in der Lage, sich mit ihrem ganzen Vorrat, ihrem
mobilen Kapital, selber zu decken; sie verdankt ihre Überlegen-
heit nicht sowohl ihrer technischen Ausrüstung, die eine gute
Mittelmühle ebenso besitzt, als diesem Umstand. Der Silo ist der
Schwerpunkt ihres ganzen Betriebs, dem Getreidehändler gibt
sie wenig zu verdienen. Der Getreidehändler dagegen hält das
Kapital für den Mittelmüller, dem Mittel und Geschäftskennt-
nisse fehlen, um selber mit Erfolg ins Getriebe der internationalen
Getreideversorgung einzugreifen und sich im voraus zu decken.
Gewöhnlich wird dieser Mittelmüller auch den Kredit des Ge-
treidehändlers in Anspruch nehmen, aber das verschärft das Ver-
hältnis nur; es begründet es nicht. In jedem Falle ist jener der
Kapitalhalter.

Noch deutlicher spiegelt sich das Verhältnis in der Brauerei
ab. Die mittleren und vollends die kleinen Brauereien verzichten
auf das eigene Mälzen, das für die immer weiter vordringen-
den Großbrauereien Ausgangspunkt des Betriebs ist, aber auch eine
große Kapitalinvestierung bedeutet. Im Mittelalter war einst
das Mälzen genossenschaftliche Gemeinangelegenheit 1, jetzt be-
sorgt die Malzfabrik Aufspeicherung und Kapitalhaltung. Das
gleiche tut der Hopfenhändler, besonders seitdem der Hopfen durch
die bessere Präservierung ein Großhandels- und Stapelartikel ge-
worden ist; und daß er das Kapital hält, auch wohl kredicliert,
ist oft auch für den Großbrauer sehr wünschenswert. Denn diesem
ist clie für ihn sehr unliebsame Rolle, Reservetruppe cles Kapitals
zu sein, auch aufgedrängt von seinem Kunden, dem Bierwirt,
der gewöhnlich ganz kapitallos ist. Selbst Brauereien von
Weltruf sind heute genötigt, sich den Absatz zu suchen, indem sie
die Plerren Wirte zufriedenstellen und an sich fesseln — eine
Fessel, die für jene nur eine Annehmlichkeit ist -—• durch Erwerb
von Häusern oder deren Beleihung mit Hypotheken. Darum zeigen
clie Bilanzen der Aktienbrauereien, bei denen man diese Vorgänge
allein verfolgen kann, meistens ein unvernünftig hohes Immo-
bilien- und Hypothekenkonto. So wird also cler Druck, den der
Kapitallose und doch so Kapitalbedürftige ausübt, von unten nach

xNochjetzt oder noch vor kurzem mälzte die Bresiauer Kretschmerinnung,
die ihre mittelalterliche Yerfassung nur wenig geändert hatte, gemeinsam
in dem ihr fast vom Anfang der Stadt zustehenden Malzhause auf der ,,Hum-
merei“.
 
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