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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0037
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Die Reservearmee des Kapitals.

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nehmung sind seit Karl Marx zum zentralen Problem der
modernen Nationalökonomie geworden: die Produktion muß
seitdem vorzugsweise als ein Mittel im Dienst der Güterver-
teilung, diese aber wieder als ein Ergebnis der Produktionsordnung
betrachtet werden; der Aufbau und die Bewegung der Bevölkerung
selber muß weit mehr als das Ergebnis denn als die Grundlage
dieser Produktions- und Verteilungsordnung angesehen werden.
Die Lösung aber, die Marx für die von ihm klassisch formulierten
Probleme gegeben hat, ist zwar als Ausgangspunkt und Programm
großer sozialer Bewegungen an sich schon eine bedeutsame historische
Tatsache geworden, will aber, vom Praktischen ganz abgesehen,
wissenschaftlich nirgends ausreichen. Die fatalistische Berufung
auf das immanente Entwicklungsgesetz, die bei aller induktiven
Breite des beigezogenen Materials schließlich die ultimaratio bildet,
reicht nicht aus, so sehr anerkannt werden muß, daß auch die Er-
kenntnis der konsequenten logischen Entwicklung wirtschaftlicher
Erscheinungen bei einmal gegebenen Ausgangspunkt durchMARx’s
dialektische Formeln gefördert worden ist. Aber das Problem
der kapitalistischen Entwicklung ist zu kompliziert, als daß es
sich eindeutig auf solche Weise auflösen ließe.

Vielmehr ist es erforderlich, immer von der Mannigfaltigkeit
der Erscheinungen, wie sie in Geschichte und Gegenwart gegeben
sind, auszugehen, das Gleichartige und das Verschiedene in ihnen
zu beobachten und sie danach zu ordnen. Ist das geschehen, so
wird die eigentliche wissenschaftliche Arbeit allerdings erst darin
bestehen, die Ursachen für jene Gleichheiten wie für jene Unter-
schiede aufzudecken und daraus den Gang der Entwicklung selber
zu erläutern — ihn voraussagen und bestimmen zu wollen, ist
für die Wissenschaft schon ein Wagnis, auf das sie sich nach
skeptischer Selbstprüfung besser nicht einläßt. Vestigia terrent.
Bei dieser Erforschung der Kausalzusammenhänge wird ihr die
Begriffsbildung und die dialektische Ausnützung der Begriffe
große heuristische Dienste leisten — nichts mehr! Auch der hier
aufgestellte Begriff der Beservearmee des Kapitals samt seinen
Unterabteilungen ist ein solcher Hilfsbegriff, der nur soweit Wert
hat, als man eine Gruppe verwandter Erscheinungen besser als
bisher durch ihn erklären kann.
 
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