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Richard Reitzenstein:
stimmten Kulturkreis, ja vielleicht cliirfte ich sogar sagen, auf ein
Kulturzentrum. Denn mit Recht scheint mir nach dem, was ich
bis jetzt von dieser Kleinkunst gesehen habe, Wilhelm Weber
(,,Die ägyptisch-griechischen Terrakotten“, Textband S. 13) zu
betonen, daß die motivbildende Kraft der Töpfer im Lande, die
eigene Phantasie also, eng beschränkt war; in ungewöhnlich starkem
Maß tritt, wo wir viele Parallelen einer Darstellung haben, die
Beziehung auf Werke der Großkunst, besonders cler religiösen
Größkunst, und die Abhängigkeit von Alexandrien hervor. Die
Kleinkunst der xcopa bringt in einer gewissen Degenerierung die
Typen der hauptstädtischen Kunst, und wo, wie in den folgenden
Beispielen, eine griechisch erscheinende Form seltsam treu clurch die
Jahrhunderte bewahrt und an den verschiedensten Orten wieder-
holt wird * 1, dürfen wir mit höchster Wahrscheinlichkeit Alexan-
drien selbst als Ausgangspunkt bezeichnen. Ich möchte — in
voller Übereinstimmung mit Prof. Weber — die folgende Dar-
stehungsreihe geradezu als Musterbeispiel für seine allgemeinen
Ausführungen hinstellen. Vollständigkeit kann ich bei ihrer
Zusammenstellung leider nicht erhoffen. Denn wenn mich auch
Fachkenner wie Dr. Paul Arndt in München, Rudolf Pagen-
stecher in Heidelberg, Wilhelm Weber in Groningen und andere
Freunde und Fachgenossen opferwillig und gütig unterstützt und
beraten haben, ließ sich doch nur über einen Teil des weit verstreuten
und beständig wachsenden Materials Auskunft erlangen. Es
handelt sich zunächst nur darum, die Grundlage für weitere
Forschung zu gewinnen; eine Übersicht über den Bestand an
Kunstwerken wird erst später zu geben sein.
1. Schon in einem Nachtrag zu meinem ldeinen Bucli ,,Das
Märchen von Amor und Psyche bei Apuleius“ 2 konnte ich auf eine
auf deh ersten Blick vermuten köhnte) im Kinderhemd, mit geschorenem Kopf,
den dicken Blütehkranz im Haar, in der Hand die Traube (vgl. den jugend-
lichen Horus bei Wilh. Weber, S. 66, Abb. 35). Die Einwirkuhg der griechi-
schen Phantasie zeigt sich darin, daß auch Harpokrates Vogelflügel hat
(umgekehrt wird aus dem Bilde des vollbewaffneten Horus die Darstelluhg
des Eros mit Schild uhd Schwert). Auch hier schafft der Künstler frei; nur
die Ahgleichuhg der beiden Gottheiten will er zum Ausdruck bringen.
1 Volle Willkür wäre es ja anzunehmeh, daß die sämtlichen gleich zu
besprechehden Kleinfuhde einem einzigen Ort entstammen, wehn mir auch
bestimmte Fundangaben für keinen von ihhen bekannt sind.
2 Leipzig 1912, hach einer Ahtrittsvorlegung in Freiburg vom 22. Juni
1911.
Richard Reitzenstein:
stimmten Kulturkreis, ja vielleicht cliirfte ich sogar sagen, auf ein
Kulturzentrum. Denn mit Recht scheint mir nach dem, was ich
bis jetzt von dieser Kleinkunst gesehen habe, Wilhelm Weber
(,,Die ägyptisch-griechischen Terrakotten“, Textband S. 13) zu
betonen, daß die motivbildende Kraft der Töpfer im Lande, die
eigene Phantasie also, eng beschränkt war; in ungewöhnlich starkem
Maß tritt, wo wir viele Parallelen einer Darstellung haben, die
Beziehung auf Werke der Großkunst, besonders cler religiösen
Größkunst, und die Abhängigkeit von Alexandrien hervor. Die
Kleinkunst der xcopa bringt in einer gewissen Degenerierung die
Typen der hauptstädtischen Kunst, und wo, wie in den folgenden
Beispielen, eine griechisch erscheinende Form seltsam treu clurch die
Jahrhunderte bewahrt und an den verschiedensten Orten wieder-
holt wird * 1, dürfen wir mit höchster Wahrscheinlichkeit Alexan-
drien selbst als Ausgangspunkt bezeichnen. Ich möchte — in
voller Übereinstimmung mit Prof. Weber — die folgende Dar-
stehungsreihe geradezu als Musterbeispiel für seine allgemeinen
Ausführungen hinstellen. Vollständigkeit kann ich bei ihrer
Zusammenstellung leider nicht erhoffen. Denn wenn mich auch
Fachkenner wie Dr. Paul Arndt in München, Rudolf Pagen-
stecher in Heidelberg, Wilhelm Weber in Groningen und andere
Freunde und Fachgenossen opferwillig und gütig unterstützt und
beraten haben, ließ sich doch nur über einen Teil des weit verstreuten
und beständig wachsenden Materials Auskunft erlangen. Es
handelt sich zunächst nur darum, die Grundlage für weitere
Forschung zu gewinnen; eine Übersicht über den Bestand an
Kunstwerken wird erst später zu geben sein.
1. Schon in einem Nachtrag zu meinem ldeinen Bucli ,,Das
Märchen von Amor und Psyche bei Apuleius“ 2 konnte ich auf eine
auf deh ersten Blick vermuten köhnte) im Kinderhemd, mit geschorenem Kopf,
den dicken Blütehkranz im Haar, in der Hand die Traube (vgl. den jugend-
lichen Horus bei Wilh. Weber, S. 66, Abb. 35). Die Einwirkuhg der griechi-
schen Phantasie zeigt sich darin, daß auch Harpokrates Vogelflügel hat
(umgekehrt wird aus dem Bilde des vollbewaffneten Horus die Darstelluhg
des Eros mit Schild uhd Schwert). Auch hier schafft der Künstler frei; nur
die Ahgleichuhg der beiden Gottheiten will er zum Ausdruck bringen.
1 Volle Willkür wäre es ja anzunehmeh, daß die sämtlichen gleich zu
besprechehden Kleinfuhde einem einzigen Ort entstammen, wehn mir auch
bestimmte Fundangaben für keinen von ihhen bekannt sind.
2 Leipzig 1912, hach einer Ahtrittsvorlegung in Freiburg vom 22. Juni
1911.