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Güntert, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 13. Abhandlung): Über die ahurischen und daēvischen Ausdrücke im Awesta: eine semasiologische Studie — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33316#0021
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Über die ahurisehen und daevischen Ausdrücke im Awesta.

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ein mit döi'&ra- stammverwandtes Wort, wenn auch mit variiertem
Suffix, samt dem zugehörigen Verbum noch im Neupersischen in
voller Blüte steht. Eine andere Ableitung des gleichen Stammes,
nämlich daeman-, hatte sich im Awestischen mehr zur Bedeutung
,,Augapfel“ verengert und kommt deswegen hier nicht in Betracht,
vgl. afgh. lema ,,Pupille“ gegenüber np. dim ,,Gesicht“.
Wenn wir aber fragen, warum casman- ,,Auge“ nicht die erste
Stelle behauptete, warum es nicht das a/mrische Gegenstück zu
dem daeeischen as- wurde, so kann ich darauf nur antworten: weil
es das gewöhnliche, allgemein übliche Wort der Umgangssprache
war ohne besonderen Gefühlsexponenten: casman- ist einerseits
aus arischer Zeit ererbt, vgl. ai. cdksus- ,,Auge“, andererseits
im Iranischen stets lebendig geblieben, vgl. np. casm.

Interessant für das Verhältnis von döi&ra- zu casman- sind die
Komposita vdrdzi-casman- neben vdrdzi-döi&ra- ,,mit durchdringen-
den Augen“, vouru-döi&ra- neben vouru-casäni- „weitblickend“.

31. Ebenso erkläre ich mir die Verteilung bei (ahur.) us- und
(daev.) karona- einerseits und dem neutralen gaosa- ,,Ohr“ anderer-
seits. Das üblichste Wort mit so gut wie keinem Begleitgefühl
war gaosa-\ das wird nicht nur dadurch bewiesen, daß es bis ins
Neupersische hinein am Leben blieb (Jkß gös), sondern es
folgt schon daraus, daß es im Altpersischen (gausa-) in den Keil-
inschriften allein üblich ist. Dagegen zeigt us- nachweisbar eine
verhältnismäßig junge und neue Bedeutungsverbesserung; neben
dem altererbten Sinne ,,Ohr“ (vgl. lat. auris, got. ausö usw.) hatte
es in (weshscher Zeit eine daraus abgeleitete Bedeutung entwickelt,
,,die Fähigkeit zu hören“ d. h. richtig zu hören, richtig zu ver-
stehen und aufzufassen“; an manchen Stellen kann man es geradezu
mit ,,Fassungskraft, Verstand“ übersetzen. Auch weiterhin bewegt
sich die Bedeutungsentwicklung dieses Wortes in aufsteigender
Linie: der eigentliche Grundsinn ,,Ohr“ wird in der Folgezeit ganz
aufgegeben; er ist nur noch im Awesta, nicht im Pahlawi und Neu-
iranischen nachweisbar; vgl. np. ij^ hös ,,Einsicht, Verstand,
Geist“ 1. Und wie wir bei us- noch die Bedeutungsfärbung „richtiges
Gehör, treffliches Hören“ nachweisen konnten, so läßt sich um-
gekehrt beim Oppositum kardna- ,,Ohr“ (= ai. kärna- dss.) die
Bedeutungsverschlechterung „schlechtes Ohr, schlechtes Hören“
aus dem Sinne des zugehörigen Adjektivs karona- ,,taub“ (= ai.

1 Zum Lautlichen s. Verf. Reimwortbildungen S. 94, § 131.
 
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