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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0003
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Hochanselmliche Festversammlung!

Die Philosopliie gewinnt den Grundstock ihrer immer wieder-
kehrenden Probleme aus den großen Zügen des Lebens, das jedem
Denkenden seine Rätsel auf die Seele drückt: die besondere Aus-
gestaltung aber dieses allgemeinen Inhalts erwächst jederZeit aus
den Einsichten und Theorien cler besonderen Wissenschaften. Diese
entwickeln in ihrer von der Philosophie nicht bestimmten und
nicht gestörten Arbeit an den Tatsachen stetig neue Erfahrungen,
damit aber auch neue Begriffe und neue erklärende Theorien: sie
selbst begnügen sicli mit beiden, solange sie zur Verarbeitung der
Tatsachen ausreichen; aber für die Philosophie werden sie zu Pro-
blemen, indem sie sich in die begrifflichen Linien des bisherigen
Weltbildes einschieben und sich nun zeigen muß, wie weit sie da-
mit vereinbar sind, ob sie sich als eine Ergänzung einfügen oder
in dieser Ordnung ihre eigene Stellung nicht finden können.

Ein Beispiel dieses Vorgangs zeigt sich in der Idypothese des
Unbewußten, von der ich Sie in dieser Stunde unterhalten möchte.
Sie spielt, wie Sie alle wissen, in der modernen Psychologie eine
hervorragende Rolle und hat darin solche Bedeutung gewonnen,
daß man Sorge tragen muß, ob sie nicht gewisse Grundformen der
bisherigen Weltvorstellung zu sprengen geeignet ist. Freilich liegt
die Sache in diesem Falle so, daß die Hypothese in der empirischen
Wissenschaft nicht aus deren eigenen Bedürfnissen entsprungen,
sondern vielmehr aus philosophischen Motiven und Interessen in
sie eingeführt worden ist: denn sie stammt aus den Zeiten, wo die
Psychologie noch keine eigene selbständige Erfahrungswissenschaft
war, sondern aus allgemeinen philosophischen Motiven heraus ent-
worfen und ausgeführt wurde.

Die erste bedeutsame Erscheinungsform der Hypothese des
Unbewußten tritt uns in dem Streit über die eingeborenen Ideen
entgegen, der sich an die cartesianische Philosophie angeschlossen
hat. Mit einer eigenartigen Vermischung erkenntnistheoretischer
und psychologischer Gesichtspunkte meinte der cartesianische wie

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