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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0005
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Die Hypothese des Unbewußten.

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gipfelt, so ist es, weil darin die volle Ausgleichung des Bewußten
und des Unbewußten gesehen wird. In der Produktion des Genies
hatte schon Kant die Intelligenz erkannt, welche wirkt wie die
Natur, d. h. mit absichtsloser, unbewußter Zweckmäßigkeit. Bei
Schelling trat, wie es die Ausführung in seiner Philosophie
der Kunst zeigt, das kongeniale Verständnis vonder aller rationalen
Analyse sich entziehenden Zusammenwirkung bewußter und un-
bewußter Vorgänge inder schaffendenTätigkeit des Künstlers liinzu.

Gerade diese Irrationalität der unbewußten Lebensschichten
wurde von den Romantikern als den prinzipiellen Gegnern der Auf-
klärung und so auch von den Naturphilosophen der schellingschen
Schule begierig aufgenommen. In dieser wurden die Nachtseiten
des Seelenlebens und das dunkle Ineinanderspielen physiologischer
und psychologischer Prozesse mit besonderer Vorliebe gepflegt, und
noch bei einem späten Nachsproß dieser Naturphilosopliie, bei
Fechner, erfreuen wir uns an der humorvollen Schalkhaftigkeit,
mit der er von dem hellen Lichte des bewußten Seelenlebens die
Linien seiner Betrachtung in das Unterbewußte ebenso wie in
das Uberbewußte zieht.

Wirkte so die fichtesche Anregung zu einer Einführung der
Hypothese des Unbewußten in die empirische Psychologie und ihre
erklärenden Theorien, so war auch die Lehre ihres großen meta-
physischen Antipoden, Schopenhauers, erst recht geeignet,
das Wesen der Seele in dem an sich unbewußten Willen zu suchen
und das Bewußtsein nur als eine Erscheinung dieses Willens zu
betrachten, die sich verhältnismäßig spät und in dem engen Kreise
der höheren organischen Wesen einstelle, um schließlich jenenWillen
von seiner Unseligkeit im reinen Wissen und Schauen des
Menschen zu erlösen. Der Wille selbst aber galt in seiner Ur-
sprünglichkeit als der dunkle Trieb, der auch in den des Bewußt-
seins nicht fähigen Erscheinungen die letzte Realität ausmacht.

In ganz anderer Weise hat endlich Herrart die Hypothese
des Linbewußten in die Psychologie eingeführt. Auch bei ihm beruht
sie wesentlich auf den metaphysischen Fundamenten seiner Psyclio-
logie. In durchaus intellektualistischer Weise betrachtet er — darin
der volle Gegner Schopenhauers — die Vorstellung als die
Grundfunktion des Seelenlebens und sieht in ihr die Selbsterhaltung
der Seele gegen die Störungen durch andere Reale. Aber er be-
handelt das Bewußtsein als eine Eigenschaft der Vorstellungen,
welche sie in verschiedenem Maße und derart besitzen, daß das
 
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