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W. Windelband:
soviel ich sehe, auf ein engeres Gebiet und braucht uns zunächst
nicht die Sorgen zu machen, welche aus seiner uferlosen Anwendung
zu erwachsen drohten. Die Grundtatsache nämlich für die Anwen-
dung der Hypothese des Unbewußten ist der Zustand des erinner-
baren Vorstellungsinhalts in der Zwischenzeit zwischen seinem
ersten Auftreten im Bewußtsein und seiner, sei es einmaligen, sei
es mehrmaligen Reproduktion darin. Was sind unsere Erinnerungen
in den Zeiten, wo wir nicht an sie denken ? Die manchmal gewiß
zu beklagende, aber im ganzen doch sehr glückliche Enge unseres
Bewußtseins bewahrt uns davor, alles, was wir als erinnerbar be-
sitzen, dauernd präsent zu haben. Die einzelnen Momente, welche
den ,,Schatz“ unseres Gedächtnisses ausmachen, sind ja nur selten
im Bewußtsein, und es gehört zur Ökonomie unseres endlichen
Geistes, daß wir, die wir das Ganze zusammen niemals bewältigen
könnten, nur immer über einen ganz geringen Teil davon zu ver-
fügen imstande sind. Aber was ist nun dieser ganze Gedächtnis-
schatz in der Zwischenzeit, wo wir ihn nicht im Bewußtsein haben ?
Er kann nicht nichts sein, da er sich bei jeder neuen Reproduktion
als vorhanden erweist. Allein welches ist dann dieArt seiner Wirk-
lichkeit ? Nach der uns geläufigen Unterscheidung oder Alternative
werden wir sagen, diese Wirklichkeit müsse entweder eine phy-
sische oder eine psychische, in dem letzteren Falle dann natürlich
eine unbewußt psychische sein. Eigentlich müßte nun die ganze
verwickelte Theorie des Gedächtnisses aufgerollt werden, um diese
Alternative zu entscheiden.
Aber gerade diese Theorie finden wir in der hier verfolgten
Bichtung auch heute noch bei den Psychologen gespalten, indem auf
der einen Seite die physischen ,,Spuren“ oder ,,Dispositionen“ im Ge-
hirn, in den Ganglienzellen der grauen Substanz und ihren Verbin-
dungen, kurz alles das, was man früher die ideae materiales nannte,
für ausreichend gelten, dieTatsachen des Gedächtnisses zu erklären,
auf der anderen Seite aber dies bestritten und eine unbewußte psy-
chisclie Realität der erinnerbaren Inhalte als unumgänglich anzu-
nehmen behauptet wird. Diese Kontroverse zu entscheiden, traue
ich mir nicht zu; aber ich habe den Eindruck, daß, solange es
sich nur um das ruhende oder passive Unbewußte des Gedächt-
nisses handelt, man nötigenfalls mit, dem physisch Unbewußten
im Gehirn auskommen könnte. Das ist oft auch von solchen
behauptet worden, die dem Materialismus grundsätzlich fernstehen.
Freilich machen schon hier die Verbindungen zwischen den ein-
W. Windelband:
soviel ich sehe, auf ein engeres Gebiet und braucht uns zunächst
nicht die Sorgen zu machen, welche aus seiner uferlosen Anwendung
zu erwachsen drohten. Die Grundtatsache nämlich für die Anwen-
dung der Hypothese des Unbewußten ist der Zustand des erinner-
baren Vorstellungsinhalts in der Zwischenzeit zwischen seinem
ersten Auftreten im Bewußtsein und seiner, sei es einmaligen, sei
es mehrmaligen Reproduktion darin. Was sind unsere Erinnerungen
in den Zeiten, wo wir nicht an sie denken ? Die manchmal gewiß
zu beklagende, aber im ganzen doch sehr glückliche Enge unseres
Bewußtseins bewahrt uns davor, alles, was wir als erinnerbar be-
sitzen, dauernd präsent zu haben. Die einzelnen Momente, welche
den ,,Schatz“ unseres Gedächtnisses ausmachen, sind ja nur selten
im Bewußtsein, und es gehört zur Ökonomie unseres endlichen
Geistes, daß wir, die wir das Ganze zusammen niemals bewältigen
könnten, nur immer über einen ganz geringen Teil davon zu ver-
fügen imstande sind. Aber was ist nun dieser ganze Gedächtnis-
schatz in der Zwischenzeit, wo wir ihn nicht im Bewußtsein haben ?
Er kann nicht nichts sein, da er sich bei jeder neuen Reproduktion
als vorhanden erweist. Allein welches ist dann dieArt seiner Wirk-
lichkeit ? Nach der uns geläufigen Unterscheidung oder Alternative
werden wir sagen, diese Wirklichkeit müsse entweder eine phy-
sische oder eine psychische, in dem letzteren Falle dann natürlich
eine unbewußt psychische sein. Eigentlich müßte nun die ganze
verwickelte Theorie des Gedächtnisses aufgerollt werden, um diese
Alternative zu entscheiden.
Aber gerade diese Theorie finden wir in der hier verfolgten
Bichtung auch heute noch bei den Psychologen gespalten, indem auf
der einen Seite die physischen ,,Spuren“ oder ,,Dispositionen“ im Ge-
hirn, in den Ganglienzellen der grauen Substanz und ihren Verbin-
dungen, kurz alles das, was man früher die ideae materiales nannte,
für ausreichend gelten, dieTatsachen des Gedächtnisses zu erklären,
auf der anderen Seite aber dies bestritten und eine unbewußte psy-
chisclie Realität der erinnerbaren Inhalte als unumgänglich anzu-
nehmen behauptet wird. Diese Kontroverse zu entscheiden, traue
ich mir nicht zu; aber ich habe den Eindruck, daß, solange es
sich nur um das ruhende oder passive Unbewußte des Gedächt-
nisses handelt, man nötigenfalls mit, dem physisch Unbewußten
im Gehirn auskommen könnte. Das ist oft auch von solchen
behauptet worden, die dem Materialismus grundsätzlich fernstehen.
Freilich machen schon hier die Verbindungen zwischen den ein-