Metadaten

Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0014
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
14

W. Windelband:

deutlich. Nun können wir aber in solchen Fällen oder ähn-
lichen die Erfahrung machen, daß wir bei geschärfter Aufmerksam-
keit ohne Zuhilfenahme irgend welcher anderen zur Vergleichung
herangezogenen Vorstellungen in unserem anfänglich undeutlichen
Erinnerungsbilde mit der Zeit die einzelnen Bestandteile heraus-
zuheben und inhaltlich zu bestimmen imstande sind. Eine solche
Verdeutlichung der anfangs nur klaren Erlebnisse ist doch nur
dadurch begreiflich, daß schon in der ursprünglichen Vorstellung
alle jene Besonderheiten mitenthalten waren, die wir erst nach-
träglich in das Bewußtsein emporzuheben yermochten. In solchem
Falle steckt tatsächlich in dem Erlebnis mehr, als wir zunächst
bewußt aufnahmen. Wer sich gegen die Hypothese des Unbe-
wußten so weit wie möglich sperren will, wird vielleicht diesen
Tatsachen gegenüber, wie bei den sog. Nachwahrnehmungen
die Überlegung geltend machen, daß alles dasjenige, was wir
hinterher in unserer Vorstellung aufzufinden vermögen, doch bei der
Wahrnehmung schon, wenn auch nur ganz flüchtig, durch das Be-
wußtsein gelaufen sein muß, um dann nur schnell wieder vergessen
und erst mühsam zur Beproduktion gebracht zu werden. Wollte man
sich diese Erklärung zu eigen machen, so brauchte man ja freilich
nicht anzunehmen, daß bei der Wahrnehmung mehr in uns ge-
schehen ist, als wir im Bewußtsein haben: aber dann hätten wir
darin ja nur einen Fall des Gedächtnisses und kämen auf unsere
frühere Betrachtung des unbewußten Beharrens der zeitweilig ver-
gessenen Momente zurück.

Indem ich es dahingestellt sein lasse, ob man damit gegen-
über jener Verdeutlichung der Wahrnehmungen überall auskommt,
möchte ich im Sinne von Leibniz auf andere Apperzeptionen hin-
weisen, die sich in der Wahrnehmung vollziehen und dem Unbewuß-
ten eine neue Bedeutung zu geben geeignet sind. Wir setzen beim
Wabrnehmen selbst die räumlichen und zeitlichen Komplexe' von
Empfindungen stets zugleich in Beziehung zu den natürlichen
Kategorien der Inhärenz und der Ivausalität. Wir gliedern die
Fülle des Empfundenen je nach ihrer räumlichen und zeitlichen
Ordnung in die Vorstellungen von Uingen mit ihren Eigenschaften
und von Vorgängen des Wechsels solcher Eigenschaften. Bei dieser
Formung des Erlebten zu den Dingen und dem zwischen ihnen
stattfindenden Geschehen sind wir uns aber dieser Kategorien
selbst als der abstrakten Formen der Verknüpfung keineswegs
bewußt. Diese ganze Gestaltung der Empfindungen zur Umwelt
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften