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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0018
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18

W. Windelband:

Keb.ren wir von diesem philosophischen Ausblick zu dem empi-
rischen Bewußtsein und seinem Verhältnis zum Unbewußten zu-
rück, so sehen wir in diesem zweiten Reiche des Unbewußten, das
wir anzunehmen genötigt sind, jedenfalls mehr ein Überbewußt-
sein, d. h. etwas, worin das Bewußtsein über sich selbst hinaus-
deutet zu Beziehungen und Zusammenhängen, die ihm selbst als
letzte Voraussetzungen zugrunde liegen, während in der ersten Reihe
der Tatsachen, die ich Ihnen vorführen durfte, das Unbewußte
mehr den Charakter des Unterbewußtseins an sich trug, d. h. einer
Masse seelischer Realität, die, ursprünglicli im Bewußtsein erzeugt,
zeitweilig in den unbewußten Zustand herabgesunken ist, um nur
gelegentlich wieder die anfängliche Helligkeit zurückzugewinnen.

Gleichviel aber, ob als Überbewußtsein oder als Unterbewußt-
sein, jedenfalls muß das Unbewußte als ein bedeutsamer, die
ganze Bewegung des Bewußtseins durchziehender Bestandteil des
Seelenlebens angenommen werden, und wenn gerade die Psyclio-
logie als empirische Wissenschaft nicht ohne diese Hypothese
auskommen kann, so fragt es sich, wie diese mit unseren Begriffen
von der Seele und dem seelischen Leben sich verträgt. Wir brauchen
dabei nicht auf die metaphysischen Schwierigkeiten im Begriffe
des Seelenwesens oder der Seelensubstanz einzugehen; die empi-
rische Wissenschaft hat sich ja längst daran gewöhnt, eine ,,Psy-
chologie ohne Seele“ zu sein. Aber sie bedarf deshalb um so mehr
einer genauen Begriffsbestimmung der seelischen Erscheinungen,
welche den Gegenstand ihrer Forschung bilden sollen: denn mit
der bloßen Verwandlung aus der substantivischen in die adjekti-
vische Ausdrucksweise ist ijir nicht geholfen. Nun war aber gerade
das Ergebnis der geschichtlichen Umgestaltungen, welche der
Seelenbegriff in der europäisclien Wissenschaft gefunden hat, die
Gleichsetzung der seelischen Phänomene mit den „Tatsachen des
Bewußtseins“.

Die uralte animistische Vorstellung von der Seele, die wir bei
allen Völkern finden, bedeutete die Zusammenfassung einer
Lebenskraft und eines Trägers der Bewußtlieitsfunktionen. Der
gespenstige Doppelgänger des Leibes, der diesen vorübergehend im
Schlaf und dauernd im Tode zu verlassen scliien, nahm mit sich
ebensosehr die spontanen Bewegungen des Leibes wie die Anzei-
chen von jenen Vorgängen des Vorstellens, des Fühlens und des
Wollens — zwei Gruppen von Tätigkeiten, die in dem Charakter
des Sinnvollen und des Zweckmäßigen zusammenkamen. Diese
 
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