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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0019
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Die Hypothese des Unbewußten.

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Verknüpfung der beiden Momente des Seelenbegriffs, die wir z. B.
noch bei Platon in ganz naiver Weise sich darstellen sehen, ist
nun aber mit der genaueren Erforschung und begrifflichen Klä-
rung mehr und mehr auseinandergegangen. Schon die aristote-
lische Dreiteilung von vegetativer, animaler und hmnaner Seele
zei'gt diese Tendenz, obwohl in dem Mittelgliede, der animalen
Seele, noch die Gemeinsamkeit der beiden Momente spontaner
Bewegung und sinnlicher Vorstellungsfähigkeit aufrechterhalten
ist, während die vegetative Seele bloß noch Lebenskraft und die
humane lediglich Bewußtseinsfunktion bedeutet. Zur vollkom-
menen Trennung ist es dann im Neuplatonismus gekommen, wo
die niedere Seele völlig der Körperwelt angehört und die höhere,
der Geisteswelt zugekehrte, lediglich aus Bewußtseinstätigkeiten
besteht. Mit aller Schroffheit ist endlich die Scheidung von Lebens-
kraft und Seele als Bewußtseinsträger in der mittelalterlichen
Psychologie, besonders von den Mystikern von St. Victor, durch-
geführt worden. Sie bildet hier den schärfsten Ausdruck des meta-
physischen Dualismus von Körper und Geist, und die Verbindung
von Leib und Seele im Wesen des Menschen gilt deshalb als das
unbegreiflichste aller Wunder, durch das Gott bewiesen habe, daß
ihm nichts unmöglich sei.

Genau in diesen Verhältnissen hat Descartes den Begriff
der Seele als des bewußten Wesens in die moderne Philosophie
eingeführt. Er scheidet bekanntlich die ganze Welt der endlichen
Substanzen in zwei prinzipiell völlig voneinander getrennte Sphären:
die res extensae und die res cogitantes, und die Begründung seiner
Erkenntnistheorie und Metaphysik geht von der Grundtatsache
der Selbstgewißheit der Seele als res cogitans aus. Es verleitet zu
Irrtümern, wenn man Descartes’ Begriff der cogitatio (oder des
penser) im Deutschen mit „Denken“ übersetzt, was eine viel engere
und zugespitzte Bedeutung hat. Was Descartes unter cogitatio
verstanden haben wollte, hat er mehrfach durch Aufzählung der
einzelnen Beispiele wie Zweifeln, Bejahen, Verneinen, Begreifen,
Wollen, Verabscheuen, Einbilden, Empfinden usf. umschrieben.
Über das Gemeinsame aber, das alle diese Mannigfaltigkeiten im
Begriffe des cogitare zusammenzufassen erlaubt, sagte er: cogi-
tationis nomine intellego illa 'omnia, quae nobis consciis in nobis
fiunt, quatenus eorum in nobis conscientia est, und dafür haben wir
eben im Deutschen kein anderes Wort als Bewußtsein. Obwohl
nun der vorsichtige und umsichtige Philosoph in den letzten

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