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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0022
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W. Windelband: Die Hypothese des Unbewußten.

denen ich die hauptsächlichsten entwickelt hahe, anerkennt und
sich zu der Annahme unbewußter seehscher Realitäten bequemt,
so wird man hiernach nicht umhin können, die überlieferten
Begriffsbestimmungen des Seelischen und die metaphysischen
Yoraussetzungen, unter denen sie stehen, zu revidieren. Die Gleich-
setzung der Gegensatzpaare einerseits des Bewußten und des Un-
bewußten und andererseits des Seelischen und des Körperlichen
muß aufgegeben werden, sobald die Existenz des unbewußt See-
lischen zugegeben wird. Freilicli bleibt, wie wir gesehen haben,
das seelisch Unbewußte als ein Nichtphysisches doch in einer
gewissen Analogie zu dem Bewußten, es ist ein potentiell Bewuß-
tes, ein nicht mehr oder noch nicht Bewußtes. Deshalb wird man
nicht daran denken dürfen, dies Unbewußte etwa, wie es andeu-
tungsweise wohl auch schon versucht worden ist, als etwas Drittes,
als ein Zwischenreich zwischen Körperwelt und Bewußtseinswelt
einzuschieben oder beiden in sogenannt monistischer Weise unter-
zuschieben.

Es genügt mir, Sie bis an die Schwelle dieser metaphysischen
oder, wenn Sie wollen, metapsychischen Fragen zu führen. Für ihre
Lösung wird es vor allem darauf ankommen, die Stellung des
individuellen Bewußtseins, das für uns den Ausgangspunkt dieser
Untersuchungen zu bdden pflegte, einerseits zu der leiblichenWirk-
lichkeit,andererseits zum Gesamtbewußtsein, d.h. zum Unterbewuß-
ten und zum Überbewußten, mit Rücksicht auf den ganzen Umkreis
der seelischen Erfahrung von neuem zu analysieren. Das aber
kann nur in allgemeinen philosopliischen Theorien und zuletzt aus
erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten geschehen. Gerade dies
Beispiel aber ist geeignet, die intime Stellung zur Philosophie er-
kennen zu lassen, welche die Psychologie auch nach ihrer Verselb-
ständigung zu einer empirischen Wissenscliaft einnimmt und immer
einnehmen wird. Ihre Ablösung aus dem Mutterhause erfolgt am
spätesten und, wie es scheint, am sclimerzhaftesten: aber unter allen
besonderen Wissenschaften ist sie diejenige, welche durch ihre
eigenen Probleme am unmittelbarsten auf die Philosophie zurück-
gewiesen wird, und zugleich diejenige, bei deren tatsächlichen Ein-
sichten die Philosophie am meisten sich für ihre Aufgaben Material
zu holen hat.
 
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