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Cavalli Bayllo, Marin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Andreas, Willy [Bearb.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 5. Abhandlung): Eine unbekannte venezianische Relazion über die Türkei (1567) — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33308#0003
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Die Bedeutung der venezianisclien Relazionen für die moderne
Geschichtschreibung hat uns Ranke erschlossen. Er hat aus
ihnen sachliche Aufschlüsse in Menge geschöpft, er fand außerdem
darin eine Fülle reizvoller Einzelzüge, persönlicher und farbiger
Nuancen, die namentlich seinen literarischen Porträts eine außer-
ordentliche Lebendigkeit gaben. Ranke war Gelehrter und
Künstler. Für beide Eigenschaften seines Wesens war die Be-
kanntschaft mit den Relazionen der venezianischen Botschafter
ein außerordentlicher Gewinn. Aber auch der politische Denker,
der aus der Schule der Restauration herauswuchs, der Vertreter
einer universal gerichteten Betrachtung, die von obenher, nach
höchsten Staatsinteressen und -notwendigkeiten anzuschauen und
zu urteilen suchte, konnte nicht unberührt bleiben von dem be-
sonderen Geist, der sich in diesen Denkmalen einer vergangenen
Zeit und ihrer Bildung aussprach. So vieles zwischen diesen italie-
nischen Nobilis des Cinquecento und dem deutschen Professor
des 19. Jahrhunderts stand, es war doch Gemeinsames in ihnen.
In den Relazionen kamen Männer zu Wort, die in ihrer Art eben-
falls die Vorstellung eines germanisch-romanischen Völker- und
Kulturkreises hegten. Auch sie waren gewohnt, Europa als ein
einheitlich.es Ganzes anzusehen, wenn auch ihrer mechanischen
Auffassung eine organisch-historische Betrachtung noch fremd
war. Staatsraison, Machtziele und politischer Egoismus waren
für sie die Antriebe und Normen des Weltgeschehens, und als
Aristokraten urteilten sie mehr vom Standpunkt der Regierungen
als dem der Völker oder gar der Massen. Wer lange bestimmte
historische Dokumente auf sich wirken läßt, weiß, wie sie langsam
Einfluß gewinnen, wie sie das geistige Wesen auch eines Erforschers
von kühlster Objektivität zu färben anfangen. Und in Ranice
war sogar mehr als die Empfänglichkeit einer künstlerischen Seele,
es waren innere Verwandtschaften vorhanden. Wie viel er den
Relazionen für die Bildung seiner Ideenwelt zu verdanken hat,
ist selbstverständlich nicht abzumessen; aber ihren Anregungen
nachzugehen hätte die neuerdings versuchte Studie 1 über die
Jugendentwicklung Rankes nicht versäumen sollen.

1 Otto Diether. L. von Ranke als Politiker. Leipzig. 1911.

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