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Cartellieri, Otto [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 6. Abhandlung): Beiträge zur Geschichte der Herzöge von Burgund: V. Fragmente aus der zweiten "Justification du duc de Bourgogne" des Magisters Johann Petit — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33309#0009
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Beiträge z,ur Geschiclite der Herzöge von Burgund

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wagt es, an seiner Rechtgläubigkeit zu zweifeln 1! In hellem Zorn
schleudert er ihm ins Gesicht: Du lügst. Jederzeit ist er bereit,
sich vor der Kirche, vor der Universität Paris zu verantworten 2.

Wer Freude an scholastischen Spitzfindigkeiten hat, wird
auf seine Rechnung kommen, wenn er dem Streite der beiden
Gelehrten weiter nachgeht. Wir wollen hier einige Stellen prüfen,
welche sachliche Angaben enthalten.

Wenn wir das stattliche Werk durchlesen, wird uns von vorn-
herein mißtrauisch machen, daß Petit nicht mehr wie in der ersten
Justification allein Herzog Ludwig belastet, sondern auch dessen
Gemahlin Valentine Visconti. Wir wollen es uns noch gefallen
lassen, daß es dem Spürsinn der burgundischen Agenten gelang,
noch weitere Freveltaten Ludwigs ausfindig zu machen, wie einen
Vergiftungsversuch des Dauphins Karl 3; aber warum erst jetzt nach
dem Tode der Herzogin mit Reschuldigungen hervortreten, da
keine Antwort mehr erfolgen konnte. Das ist doch mindestens
verdächtig. Petit gibt jetzt an, daß die Mailänderin um alle
Untaten des Gemahls wußte. Sie besaß einen Zauberspiegel, in
welchem sie alle Ereignisse im Umkreis einer halben Meile wahr-
nehmen konnte 4. Um jeden Preis wollte sie Königin von Frank-
reich werden! Auch Valentine, die aus Furcht vor Strafe starb 5,
ist des Majestätsverbrechens schuldig, ihr Leichnam ist ebenso
wie der Ludwigs auszugraben und dem Richter zu überantworten.
Denn ebenso wie die Gegenpartei durch den Advokaten Cousinot,
so stellt jetzt Herzog Johann einen Strafantrag: die Vergehen des
verbrecherischen Ehepaares sind zu ahnden 6.

Auch Petit kann sich nicht ganz dem Zauber der Persön-
lichkeit Ludwigs entziehen: er vergleicht ihn einmal mit Luzifer,
seine bestechenden Eigenschaften stürzten ihn ins Unglück 7.

1 Br fol. 39, G. 152 v. 2 Br fol. 54 v, G. 171 v.

3 S. 38. Vgl. auch die Geschichte des italienischen Zauberers Br fol. 61,

G 179 v. 4 Br fol. 58f., G 176. 5 Br fol. 83, G 209. Am 4. Dez. 1408.

6 S. 44. 7 Br fol. 81, G fol. 206 v: Lucifer .... le plus bel, le plus

sage, le plus soubtil et le plus parfait de tous les aultres. Samlable-

ment pour che que ledit criminel d’Orlyens s’est trop fié en sa forche et
subtilité, biau parler, science et beauté corporele, et qu’ii s’en est tant enor-
guelly qu’il a volu oster à vous, son roy et souverain segneur, par dampnables
voyes et manieres, parellement comme Lucifer, vostre segneurie: Dieu vous
a donné de sa grace et envoiié ung vray subgiet et loyal vassal, qui vos en a
delivré et l’a chassié hors de vostre royaume aussy comme ledit Saint Michiel
chassa ycheluy Lucifer hors du royaume de paradis.
 
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