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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 8. Abhandlung): Des Athanasius Werk über das Leben des Antonius: ein philologischer Beitrag zur Geschichte des Mönchtums — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33311#0004
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Richard Reitzenstein:

Frage, um ciie sich alles dreht, ist, ob Antonius in den Himmel
eingeht. Daß er es tut, müßte eigentlich sogar clurch objektive
Tatsachen bewiesen werden, denn der Leser muß wissen, ob er
den Heiligen wirklicli anrufen kann und clieser Zutritt zu Gott
besitzt. Der zweite bestimmende Gedanke ist, daß der Aufstieg
zu dieser Höhe nur schrittweise uncl unter harten Anstrengungen
gelingt; das Leben des Heiligen ist ein ununterbrochener Kampf
gegen das Böse und seinen Urheber 1. Ein großer Gedanke ist von
Anfang bis zu Ende durchgeführt; alles steht genau an der Stelle,
an der es stehen muß, und kein überflüssiges Beiwerk stört die
spannende Entwicklung; wenige Werke des Altertums werden
sich an Strenge des Stils und an künstlerischer Geschlossenheit mit
der Vita Antonii vergleichen lassen. Freilich als Schöpfer einer
schlechthin neuen Literaturart darf Athanasius docli nicht gelten.
Sie beginnt mit der Biographie eines Gottes, dem Herakles des
Antisthenes, von liier kommen wir zum βίος Πυθαγόρου und weiter
zu dem Leben cles Apollonios vonTyaBa, in dem Holl — offenbar
unter dem Zwang seiner Theorie — eine ähnliche innere Entwick-
lung nachweisen möchte. Allerdings stehe Athanasius höher als
Philostratus; schmücke dieser seinen Stoff mit allem möglichen
Zierat heraus, so gehe jener geradlinig auf sein Ziel los und halte
die Aufmerksamkeit des Lesers bei dem eigentlichen Gegenstande
fest; er müsse ihm folgen und den sittlichen Kampf, der sich in
der Seele des Antonius abspiele, miterleben, als ob es seine eigene
Angelegenheit wäre 2. So bilde clas Werk des Athanasius die Norm
und den Höhepunkt der späteren ähnlichen Literatur.

Dem begeisterten Lobpreis des AVerkes hat bald danach
v. Harnack (Texte und Untersuchungen XXXIX 3, S. 81, 2) ein
herabsetzendes Urteil von schneidender Herbheit gegenübergestellt,
auf das ich hier nicht eingehen möchte. Ich möchte lieber sine ira
el studio Tendenz und Anlage, literarische Bedeutung und Quellen
des Werkes noch einmal untersuchen. Mir scheint es uns in mancher
Hinsicht weniger, in anderer wieder mehr zu bieten, als Holl zu-
nächst zugeben wollte. Da clie früher viel erörterte Frage nach der
Echtheit hiervon nicht zu trennen ist, muß ich auch sie wenigstens

1 Antonius kämpft dabei nach Holl nicht etwa mit einer ihm eigen-
tümlichen bösen Anlage, sondern mit der allgemeinen Menschennatur.

2 Antonius wächst ganz von innen heraus und wird durch die Not-
wendigkeit der Sache von Stufe zu Stufe getrieben (Holl S. 425).
 
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