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Richard Reitzenstein:
Daß Athanasius die Kunstform des antiken βίος kennt, scheint
mir danach sicher; er hat sich ihr sogar sehr viel mehr genähert
als z. B. Philostratos in dem βίος ’Απολλωνίου; das zeigen besonders
die Teile c. 2 — 15 und 67—88. Einen schriftstellerischen Plan
klar zu entwerfen und einheitlich durchzuführen, ist ihm freilich
völlig unmöglich. Auch von den zahlreichen Wiederholungen und
den durch die streng diclaktische Tendenz erzwungenen Einlagen
abgesehen, bleibt sein Werk als schriftstellerische Leistung unbe-
friedigend. Sein nächstes Vorbild ist offenbar ein βίος Πυθαγόρου.
Ihm entstammt cler erste Abschnitt (die Gründung der Mönchs-
gemeinschaft); er bot den äußeren Anhalt zu der Einlage der langen
Reden * 1; mit ihm berühren sich die den ersten Teil abschließenden
Schilderungen c. 44. 45. Auch für den nächsten, sachlich ja aus
anderer Quelle stammenden Teil, die Aufzählung der Wunder-
geschichten, bot der βίος ΠυΤαγόρου ein Analogon 2. Selbst die
folgende Analyse der Eigenschaften und έπιτηδεύματα ist wenig-
Ganzen gar nicht, daß der Leichnam noch Wunder tut, oder finde es gar für
einen Ersatz dafür, daß Athanasius (c. 93) hervorhebt, Antonius sei bei seinern
Tode auch am Körper 'in allem unversehrt’ gewesen. Das entspricht durchaus
nicht den späteren Erzählungen von der Unverweslichkeit der Körper großer
Heiliger -—- erst der Vollender des derb-volkstiimlichen διήγημα, Hieronymus,
bringt diesen Zug in die Literatur —, sondern ist nicht mehr, als Pseudo-
Lukian an Demonax zu rühmen weiß (c. 63): έβίω δ’έτη δλίγον δέοντα τών
έκατδν άνοσος, άλυπος. Auch dem Christen rnochte, wem das beschieden war,
als Liebling Gottes erscheinen, (vgl. Hieronymus ep. 10,2). Es ist der Grund-
fehler Holls, daß er an die Spitze dieser Literatur die'Biographie eines Gottes’,
den mir viel zu wenig bekannten Heraldes des Antisthenes, riicken will. Was
Athanasius in diesen Teilen schildern will, hält sich durchaus auf dem Boden
des Schlichten und Menschlich-Natürlichen. Es liegt in dem etwas aufdring-
lich lehrhaften Grundton des Werkes, daß Athanasius die Polemik gegen die
Unsitte, den Leichnam längere Zeit unbestattet zu lassen (vgl. jetzt Wiede-
mann, Sphinx XVIII S. 37 und Leipoldt, Schenute von Atripe S. 31. 32), so
weitläufig ausspinnt, aber es zeigt auch, wie fern ihm hier alle rhetorisch-
pathetische Darstellung liegt.
1 Vgl. z. B. Jamblich § 37 ff. aus Nicomachus, 217 ff. aus Apollonius
von Tyana. Auch bei Athanasius beginnt die Predigt c. 16 zunächst in indi-
rekter Rede.
2 Vgl. Porphyrius 23 ff., Jamblich 138—139 (aus Apollonius): τών
τοιούτων δέ τών δοκούντων μυ·9τκών άπομνημονεύουσιν ώς ούδέν άπιστουντες ο τι άν
είς τδ 9-εΐον άνάγηται .... ώστε πρδς πάντα τά τοιαΰτα ούχί αύτούς εύή-9-εις νομί-
ζουσιν, άλλά τούς άπιστοΰντας - ού γάρ εΐναι τά μέν δυνατά τοΐς 9-εοΐς, τά δέ άδύνατα,
ώσπερ οΐεσθαι τούς σοφιζομένους, άλλά πάντα δυνατά, vgl. das bei Athanasius
zu bestimmtem Zweck umgestellte Nachwort zu den Wundererzählungen
cap. 83.
Richard Reitzenstein:
Daß Athanasius die Kunstform des antiken βίος kennt, scheint
mir danach sicher; er hat sich ihr sogar sehr viel mehr genähert
als z. B. Philostratos in dem βίος ’Απολλωνίου; das zeigen besonders
die Teile c. 2 — 15 und 67—88. Einen schriftstellerischen Plan
klar zu entwerfen und einheitlich durchzuführen, ist ihm freilich
völlig unmöglich. Auch von den zahlreichen Wiederholungen und
den durch die streng diclaktische Tendenz erzwungenen Einlagen
abgesehen, bleibt sein Werk als schriftstellerische Leistung unbe-
friedigend. Sein nächstes Vorbild ist offenbar ein βίος Πυθαγόρου.
Ihm entstammt cler erste Abschnitt (die Gründung der Mönchs-
gemeinschaft); er bot den äußeren Anhalt zu der Einlage der langen
Reden * 1; mit ihm berühren sich die den ersten Teil abschließenden
Schilderungen c. 44. 45. Auch für den nächsten, sachlich ja aus
anderer Quelle stammenden Teil, die Aufzählung der Wunder-
geschichten, bot der βίος ΠυΤαγόρου ein Analogon 2. Selbst die
folgende Analyse der Eigenschaften und έπιτηδεύματα ist wenig-
Ganzen gar nicht, daß der Leichnam noch Wunder tut, oder finde es gar für
einen Ersatz dafür, daß Athanasius (c. 93) hervorhebt, Antonius sei bei seinern
Tode auch am Körper 'in allem unversehrt’ gewesen. Das entspricht durchaus
nicht den späteren Erzählungen von der Unverweslichkeit der Körper großer
Heiliger -—- erst der Vollender des derb-volkstiimlichen διήγημα, Hieronymus,
bringt diesen Zug in die Literatur —, sondern ist nicht mehr, als Pseudo-
Lukian an Demonax zu rühmen weiß (c. 63): έβίω δ’έτη δλίγον δέοντα τών
έκατδν άνοσος, άλυπος. Auch dem Christen rnochte, wem das beschieden war,
als Liebling Gottes erscheinen, (vgl. Hieronymus ep. 10,2). Es ist der Grund-
fehler Holls, daß er an die Spitze dieser Literatur die'Biographie eines Gottes’,
den mir viel zu wenig bekannten Heraldes des Antisthenes, riicken will. Was
Athanasius in diesen Teilen schildern will, hält sich durchaus auf dem Boden
des Schlichten und Menschlich-Natürlichen. Es liegt in dem etwas aufdring-
lich lehrhaften Grundton des Werkes, daß Athanasius die Polemik gegen die
Unsitte, den Leichnam längere Zeit unbestattet zu lassen (vgl. jetzt Wiede-
mann, Sphinx XVIII S. 37 und Leipoldt, Schenute von Atripe S. 31. 32), so
weitläufig ausspinnt, aber es zeigt auch, wie fern ihm hier alle rhetorisch-
pathetische Darstellung liegt.
1 Vgl. z. B. Jamblich § 37 ff. aus Nicomachus, 217 ff. aus Apollonius
von Tyana. Auch bei Athanasius beginnt die Predigt c. 16 zunächst in indi-
rekter Rede.
2 Vgl. Porphyrius 23 ff., Jamblich 138—139 (aus Apollonius): τών
τοιούτων δέ τών δοκούντων μυ·9τκών άπομνημονεύουσιν ώς ούδέν άπιστουντες ο τι άν
είς τδ 9-εΐον άνάγηται .... ώστε πρδς πάντα τά τοιαΰτα ούχί αύτούς εύή-9-εις νομί-
ζουσιν, άλλά τούς άπιστοΰντας - ού γάρ εΐναι τά μέν δυνατά τοΐς 9-εοΐς, τά δέ άδύνατα,
ώσπερ οΐεσθαι τούς σοφιζομένους, άλλά πάντα δυνατά, vgl. das bei Athanasius
zu bestimmtem Zweck umgestellte Nachwort zu den Wundererzählungen
cap. 83.