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G. NEUMANN :
der zufälligen Gebärde der schwerste Akzent der ganzen
Komposition geworden. Der jähe Ruck des Kopfes bringt in das
lastende Gewicht der Gestalt etwas latent Aktives, eine bedroh-
liche Dynamik. Die rasche Iiopfwendung wirkt wie ein Vorspiel
eihgen Aufstehens. Der Spannung der Figur entsprechend sind
auch die mächtigen Sc.henkel des ,,Kolosses" bei Goya in energi-
schem spitzen Winkel gestellt. Und die Unterschenkel sind bei
Goyas Gestalt überschnitten von dem Rand des Hügels. Diese,
jedem antiken Gefühl für das körperlich Organische geradezu ins
Gesicht schlagende Willkür von Goyas Gestaltung rückt den
Gedanken doch ferner, daß wirklich die Kämpferfigur Goyas
,,Riesen" anregte. Hat man eine antike Gestaltung zur Vorlage,
fällt solche Vergewaltigung, die deren geschlossenen Organismus
jäh zerstört, nicht so leicht. Goyas Bildidee ist eben eine ganz
andere, sie ist phantastisch gefaßt, und die Überschneidung
des Beines will ihm nichts anderes bedeuten, als daß der weiter-
schaffenden Phantasie des Betrachters die Anregung gegeben
werde, sich die an sich schon kolossale Figur des Giganten noch
mehr ins Riesenhafte zu vergrößern. Damit stehen wir an der
Grenze, die beide Schöpfungen grundsätzlich voneinander
scheidet, zugleich vor der Frage, ob es denn überhaupt möglich
sei, daß der so durchaus rational begriffene Akt des ,,Faust-
kämpfers" Goya zu seiner rein phantastisch geschauten Gestalt
inspirieren konnte.
BASTELAERS^ Katalog des graphischen Werkes PieterBrueg-
hels d.Ä. verdanke ich die Kenntnis eines kleinen Kupferstiches
nacheiner verlorenenZeichnung dieses Künstlers^, der dasFiguren-
motiv des Goyaschen ,,Riesen" überraschend vorbildet. Goya,
der Meister der ,,Proverbios" und ,,Capriccios" durfte sich dem
großen Niederländer tief wahlverwandt fühlen und die Wahr-
scheinlichkeit liegt nahe, daß er dessen Werk kannte.
Brueghels Zeichnung ist. uns in zwei Stichen überliefert.
Der eine findet sich in einer Folge von zwölf flämischen Sprich-
^ VAN BASTELAER: Les estampes de P. Bruegel ΓΑ. Brüssel 1908.
S. 55/6 und Nr. 169.
2 Unsere Erwägung über einen möglichen Zusammenhang mit der
genannten Antike kann natürlich auf den ebenso möglichen Zusammen-
hang von Brueghel und der Antike übertragen werden.
G. NEUMANN :
der zufälligen Gebärde der schwerste Akzent der ganzen
Komposition geworden. Der jähe Ruck des Kopfes bringt in das
lastende Gewicht der Gestalt etwas latent Aktives, eine bedroh-
liche Dynamik. Die rasche Iiopfwendung wirkt wie ein Vorspiel
eihgen Aufstehens. Der Spannung der Figur entsprechend sind
auch die mächtigen Sc.henkel des ,,Kolosses" bei Goya in energi-
schem spitzen Winkel gestellt. Und die Unterschenkel sind bei
Goyas Gestalt überschnitten von dem Rand des Hügels. Diese,
jedem antiken Gefühl für das körperlich Organische geradezu ins
Gesicht schlagende Willkür von Goyas Gestaltung rückt den
Gedanken doch ferner, daß wirklich die Kämpferfigur Goyas
,,Riesen" anregte. Hat man eine antike Gestaltung zur Vorlage,
fällt solche Vergewaltigung, die deren geschlossenen Organismus
jäh zerstört, nicht so leicht. Goyas Bildidee ist eben eine ganz
andere, sie ist phantastisch gefaßt, und die Überschneidung
des Beines will ihm nichts anderes bedeuten, als daß der weiter-
schaffenden Phantasie des Betrachters die Anregung gegeben
werde, sich die an sich schon kolossale Figur des Giganten noch
mehr ins Riesenhafte zu vergrößern. Damit stehen wir an der
Grenze, die beide Schöpfungen grundsätzlich voneinander
scheidet, zugleich vor der Frage, ob es denn überhaupt möglich
sei, daß der so durchaus rational begriffene Akt des ,,Faust-
kämpfers" Goya zu seiner rein phantastisch geschauten Gestalt
inspirieren konnte.
BASTELAERS^ Katalog des graphischen Werkes PieterBrueg-
hels d.Ä. verdanke ich die Kenntnis eines kleinen Kupferstiches
nacheiner verlorenenZeichnung dieses Künstlers^, der dasFiguren-
motiv des Goyaschen ,,Riesen" überraschend vorbildet. Goya,
der Meister der ,,Proverbios" und ,,Capriccios" durfte sich dem
großen Niederländer tief wahlverwandt fühlen und die Wahr-
scheinlichkeit liegt nahe, daß er dessen Werk kannte.
Brueghels Zeichnung ist. uns in zwei Stichen überliefert.
Der eine findet sich in einer Folge von zwölf flämischen Sprich-
^ VAN BASTELAER: Les estampes de P. Bruegel ΓΑ. Brüssel 1908.
S. 55/6 und Nr. 169.
2 Unsere Erwägung über einen möglichen Zusammenhang mit der
genannten Antike kann natürlich auf den ebenso möglichen Zusammen-
hang von Brueghel und der Antike übertragen werden.