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Soltau, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 6. Abhandlung): Das vierte Evangelium in seiner Entstehungsgeschichte dargelegt — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34077#0027
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Das vierte Evangelium.

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besondere Quelle oder eine bessere geschichtliche Kenntnis des-
selben hinweisen könnte.
Die wichtigsten sachlichen Erweiterungen hat Ev. durch die
oben (S. 22) erwähnten antisynoptischen Abschnitte erhalten:
1,35—51 Jüngerwahl; 3, 22—30 Jesus als Täufer; 7—10^ Jesu
Streitreden mit den Juden; 12, 20—43 Jesus und seine Jünger
beim Abschied; 11, 1—45 Lazarus' Erweckung; 20, 24—29 der
ungläubige Thomash Neu von Ev. in sein Evangelium aufgenom-
men sind also durchaus ungeschichtliche Schilderungen, wie die
Wahl von Philippus und Nathanael zu Jüngern, Jesu Taufhand-
lung und seine Erscheinung vor Thomash
Augenscheinlich lag Ev. daran, durch die Gegenbilder, welche
er neben den synoptischen Erzählungen bot, manche ihm unge-
nügend dünkende Auffassung über Jesu Tätigkeit durch eine
bessere zu ersetzen oder zu überbieten. Wie bedeutsam ihm dies
aber auch erscheinen mochte, wichtiger war ihm doch ein anderes:
durch die Streitreden Jesu mit den Juden (7—10) die Schuld
der letzteren an dem Tode Jesu besonders scharf hervortreten zu
lassen^.
Aber auch damit ist die Abfassung eines neuen vollständigen
Evangefiums noch nicht genügend motiviert. Einen guten Schritt
weiter führt die oben (S. 14) gemachte Beobachtung, daß sämtliche
Sprüche und religiöse Erörterungen in capp. 7'—11, ja auch 12, 20f.;
13, 31—35 aus Rentnommen sind. Es lag also Ev. am Herzen,
die religiösen Ideen von R, ohne größere Stücke von R aufzu-
nehmen, in die ihm vorliegende Grundschrift einzufügen, um so
die ihm besonders wertvolle Seite der antiochenischen Rede-
sammlung auszubreiten. Dabei ist aber noch folgendes zu beachten.
Wer Gedanken wie 13, 31—32 aus 17, If. und 13, 34—35 aus
15, 8f. entnahm, wer aus 3, 35—36 und aus den Erörterungen von
5, 19f., 12, 45—50 einzelne Sprüche in das Evangelium einfügte,
der konnte, wie wir sahen, zwar noch nicht selbst größere Teile
von R in das Evangelium eingeschoben haben; wohl aber mußte er
* Mit Ausnahme des Redestückes 10, 1—18; 2?—30.
2 13, 23—30 weicht allerdings vom synoptischen Bericht in Einzel-
heiten ab, sodaß die synoptische Grundiage verkannt werden kann.
s Falls Lazarus' Erweckung' nicht erst vom Continuator in das Ev.
eingeschoben ist, so dürfte auch sie diesem Sagenkreis zuzuzählen sein. Das-
selbe gilt von 20, 24—29.
^ Vgl. B. W. BACON, TAe Gospe/ researc/? et77(/ c/e&ctite (New
York 1910) 275f.
 
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