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Soltau, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 6. Abhandlung): Das vierte Evangelium in seiner Entstehungsgeschichte dargelegt — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34077#0028
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28

WlLHELM SOLTAU:

bereits von einer besonderen Wertschätzung von R erfüllt gewesen
sein und eine solche in christlichen Gemeindekreisen vorgefun-
den haben.
Damit ist die erste Frage beantwortet, ohne daß für die
zweite auch nur das geringste Material zutage gefördert wäre.
Es bieibt also noch zu untersuchen, mit welchem Recht das
ganze vierte Evangelium, das zweifellos erst nach 120 vervoll-
ständigt worden ist, dem Apostel Johannes zugeschrieben wird.
Es ist klar, daß dies nur aus der Quahtät von G erklärt werden
darf. Denn wenn der Evangehst R auf den Apostel Johannes
zurückgeführt hätte, so würde er seinem Evangehum die ganzen
Reden einverleibt haben. G muß schon vorher Berichte enthalten
haben, weiche ganz oder teilweise auf den Apostel Johannes be-
zogen wurden. Bei den synoptischen Erzählungen ist das nicht
der FaH; also bleiben allein die Legenden übrig.
Unter diesen bietet sich aber ungezwungen nur eine einzige
Nachricht dar, welche anerkanntermaßen auf den Apostel Johannes
zurückgeführt werden kann: die Angabe nämlich, daß Jesu Tod
am 14. Nisan erfolgt sei (18, 28; 19, 31), die die Grundlage der
kleinasiatischen Kirche und Kirchenordnung bildete.
Ob nun der Apostel Johannes mit Recht oder Unrecht jetzt
als Apostel der Kfeinasiaten angesehen wird, klar ist jedenfahs
soviel: Daß ein uns sonst nicht bekannter Christ um 100 auf
den Namen des Apostels Johannes die Apokalypse nur dann
schreiben konnte, wenn damals allgemein geglaubt wurde,
daß dieser Apostel in Kleinasien gelebt und die Kirche Klein-
asiens gegründet habeh
Dadurch wird mit einem Schlage klar, weshalb der Glaube
an die Autorschaft des Apostels Johannes beim vierten Evan-
gelium aufgekommen ist und so schneH an Boden gewonnen hat,
ohne daß dem Apostel vorher die Qualität eines Evangelisten zu-
erkannt war. Die Bedeutung der auf Johannes zurückgeführten
herrhchen Legenden ward bedeutend erhöht, als man sie im Oster-
streit als Hauptzeugnis für die Feier des 14. Nisan anführen konnte.
Jetzt ergänzte man sie zuerst durch einige synoptische Perikopen,
i Dabei wurde ignoriert, daß nach der Angabe des Papias Johannes
und Jakobus schon früh von den Juden getötet worden sind. Spricht doch
keine Angabe von einem gleichzeitigen Tod beider Söhne Zebedaei. Im
Gegenteil: Gal. 2, 9 und nicht minder die Nachricht vom alleinigen Tode des
Jakobus um 44 (Acta 12, 21) schiießen dies aus.
 
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