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ALFRED DOVE:
sein Vaterland. Wie aber ward ihm erst beim Einblick ins Innere
des Wortes 'deutsch' zumute! Was zuvor nur Meinung gewesen,
ward durch den von ihm erbrachten linguistischen Beweis zur
Gewißheit erhoben, daß 'deutsch' in seiner ursprünglichen Form
theodisc (diutisk) ein altdeutsches Adjektiv, und zwar von einem
Substantiv theod (diot) mit der Bedeutung 'Volk' abgeleitet sei.
EMbedenklich erklärte deshalb auch GRiMM den Sinn des Namens
'deutsch' durch 'volksgemäß'. Nun aber erkennen wir historisch,
daß dieser Name, wie er in den Tagen Karls des Großen aus dem
Dunkel emportaucht, zunächst allein und lange wenigstens über-
wiegend auf unsere Sprache angewandt worden; so daß man an-
nehmen darf, die werdende deutsche Nation habe die Bezeich-
nung für ihre nationale Gemeinschaft erst im Laufe der Jahre
geerbt von der älteren, gleichsam mütterlichen Gemeinschaft
ihrer Sprache. JAKOB GRiMM erblickte daher in der anfangs vor-
herrschenden Ubertragung des Namens 'deutsch' auf die letztere
das Bestreben, diese lingua Theodisca als die 'Volkssprache' zu
charakterisieren. Welcher Begriff hätte seine innigsten Empfin-
dungen in lebhaftere Bewegung versetzen können ? Das Volk
und die Sprache bildeten ja die höchsten Gegenstände seiner Welt-
anschauung; in der Idee der Volkssprache vermählten sich beide
zu geweihtem Bunde. Wie schön, daß da für uns alle schon seit
alters der Name 'deutsch' diese erhabenste Idee in geheimnis-
voller Kürze symbolisch ausgrdrückt! Unser deutscher Volksname
geht auf den Namen unserer Sprache zurück; unsere Sprache
verdankt den ihren wiederum der Erinnerung daran, daß sie die
Volkssprache ist — man sieht sich wie in einem magischen Kreis
umhergeführt. JAKOB GRiMM befand sich darin so wohl, daß er
den umringenden Hag noch undurclidringlicher zu machen suchte.
Denn zuletzt ermittelte er in dem alten Grund^vorte diot selbst,
ganz abgesehen von dem Schicksal der Ableitung diutisk, einen
eigenen, inneren Hinweis auf den Begriff der Sprache. Indem er
eme lautlich allerdings sehr nahestehende Wörterfamilie, von der
uns noch das Verbum 'deuten' gebheben ist, auch sachlich unmittel-
bar an diot heranzog, bestärkte er sich aufs neue in der Überzeu-
gung, daß Volks- und Sprachgenossenschaft nicht bloß in Wirk-
iichkeit \mn Natur zusammenfallen, sondern auch in der wort-
schaffenden Intuition unserer Väter von jeher in der Idee des sicli
selber 'deutlichen' Deutschtums zusammen gedacht und dem-
gemäß einheitlich benannt ^vorden sein miißten.
ALFRED DOVE:
sein Vaterland. Wie aber ward ihm erst beim Einblick ins Innere
des Wortes 'deutsch' zumute! Was zuvor nur Meinung gewesen,
ward durch den von ihm erbrachten linguistischen Beweis zur
Gewißheit erhoben, daß 'deutsch' in seiner ursprünglichen Form
theodisc (diutisk) ein altdeutsches Adjektiv, und zwar von einem
Substantiv theod (diot) mit der Bedeutung 'Volk' abgeleitet sei.
EMbedenklich erklärte deshalb auch GRiMM den Sinn des Namens
'deutsch' durch 'volksgemäß'. Nun aber erkennen wir historisch,
daß dieser Name, wie er in den Tagen Karls des Großen aus dem
Dunkel emportaucht, zunächst allein und lange wenigstens über-
wiegend auf unsere Sprache angewandt worden; so daß man an-
nehmen darf, die werdende deutsche Nation habe die Bezeich-
nung für ihre nationale Gemeinschaft erst im Laufe der Jahre
geerbt von der älteren, gleichsam mütterlichen Gemeinschaft
ihrer Sprache. JAKOB GRiMM erblickte daher in der anfangs vor-
herrschenden Ubertragung des Namens 'deutsch' auf die letztere
das Bestreben, diese lingua Theodisca als die 'Volkssprache' zu
charakterisieren. Welcher Begriff hätte seine innigsten Empfin-
dungen in lebhaftere Bewegung versetzen können ? Das Volk
und die Sprache bildeten ja die höchsten Gegenstände seiner Welt-
anschauung; in der Idee der Volkssprache vermählten sich beide
zu geweihtem Bunde. Wie schön, daß da für uns alle schon seit
alters der Name 'deutsch' diese erhabenste Idee in geheimnis-
voller Kürze symbolisch ausgrdrückt! Unser deutscher Volksname
geht auf den Namen unserer Sprache zurück; unsere Sprache
verdankt den ihren wiederum der Erinnerung daran, daß sie die
Volkssprache ist — man sieht sich wie in einem magischen Kreis
umhergeführt. JAKOB GRiMM befand sich darin so wohl, daß er
den umringenden Hag noch undurclidringlicher zu machen suchte.
Denn zuletzt ermittelte er in dem alten Grund^vorte diot selbst,
ganz abgesehen von dem Schicksal der Ableitung diutisk, einen
eigenen, inneren Hinweis auf den Begriff der Sprache. Indem er
eme lautlich allerdings sehr nahestehende Wörterfamilie, von der
uns noch das Verbum 'deuten' gebheben ist, auch sachlich unmittel-
bar an diot heranzog, bestärkte er sich aufs neue in der Überzeu-
gung, daß Volks- und Sprachgenossenschaft nicht bloß in Wirk-
iichkeit \mn Natur zusammenfallen, sondern auch in der wort-
schaffenden Intuition unserer Väter von jeher in der Idee des sicli
selber 'deutlichen' Deutschtums zusammen gedacht und dem-
gemäß einheitlich benannt ^vorden sein miißten.