Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens.
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Die gotische Bibelübersetzung werden wir ais geschichtbches
Denkmal schwerhch jemals zu hoch schätzen können. ,,Allerdings,"
sagt JAKOB GRiMM, unnachahmlich wie immer, in der Zuschrift
seiner Grammatik an SAviGNY^-, ,,allerdings giebt es nothwendige
und rechte Übertragungen, auf denen großer Segen ruht. Die
Erhabenheit der heiligen Schriften geht in alle Zungen über; ich
habe vielmals bedacht, wie wunderbar die AVirkung des Christen-
tums auch in dem Stück gewesen, daß es die Vergleichung der
Sprachen aller Welttheile allein erst möglich gemacht hat. Was
wäre die Geschichte der Deutschen geblieben ohne die gothische
Version, und ohne die Versuche frommer Männer in den folgenden
Jahrhunderten, das Licht des Evangeliums in der Rede des eige-
nen Landes zu entzünden?" So der Germanist; aber auch der
Universalhistoriker hat Ursache genug, die tiefe Bedeutung der
Arbeit des Ulfilas dankbar zu erwägen. Wenn in der Septua-
ginta, an deren weltgeschichtliche Rolle uns neulich RANKE^ so
eindringlich gemahnt, gleichsam der Orient den Okzident durchs
alte Testament zum Erben seiner gediegensten Gabe eingesetzt,
so überreichte mit dem Inhalt des Codex argenteus das klassische
Altertum auf seinem Sterbelager der germanischen Zukunft seinen
letzten Willen im neuen Testament. Alles andere fand und schickte
sich hernach von selbst: dies eine bildete die erste und unumgäng-
lichste Wraussetzung für die Herstellung einer die Neuzeit mit
der antiken Welt zu einheitlicher Kulturentwicklung verhindenden
Succession. An direkter literarischer Wirkung kann sich das
gotische Buch mit jenem griechischen freilich mcht. von weitem
messen; dafür steht es jedoch an repräsentativem Werte für uns
mit mchten unter ihm. Wie dem einen unter den charakteristischen
Erzeugnissen des Hellenismus, so gebührt dem anderen der vor-
nehmste Rang unter denen der Völkerwanderung. Allerdings
muß man es zu solchem Behuf auch umgekehrt aus dieser seiner
Zeit erläutern.
i Gramm. P, p. VII. Einen Teil seines Gedankens findet man bereits
in einer Parallelstelle des alten Gotenfreundes Isidor von Sevilla ausgespro-
ohen (de ecclesiasticis officiis II, 23): cum per adventum s. spiritus discipuli
ejus inflammati linguis omnium gentium loquerentur, quo praesagio conse-
outum est, ut nulla iis gens extera, nulla lingua barbara, inaccessa vel invia
videretur, praeceptum est eis a Domino datum, ad praedicandum Dei verbum
ad singulas quasque nationes adire.
^ Weltgesch. III, 2, S. lff. Vgl. MoMMSEN, Röm. Gesch. V, 657f. über
die Bedeutung der Itala.
Sitzungsberichted. Heidelb.Akad., phil.-hist. KI. 1916. 8.Abh. 2
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Die gotische Bibelübersetzung werden wir ais geschichtbches
Denkmal schwerhch jemals zu hoch schätzen können. ,,Allerdings,"
sagt JAKOB GRiMM, unnachahmlich wie immer, in der Zuschrift
seiner Grammatik an SAviGNY^-, ,,allerdings giebt es nothwendige
und rechte Übertragungen, auf denen großer Segen ruht. Die
Erhabenheit der heiligen Schriften geht in alle Zungen über; ich
habe vielmals bedacht, wie wunderbar die AVirkung des Christen-
tums auch in dem Stück gewesen, daß es die Vergleichung der
Sprachen aller Welttheile allein erst möglich gemacht hat. Was
wäre die Geschichte der Deutschen geblieben ohne die gothische
Version, und ohne die Versuche frommer Männer in den folgenden
Jahrhunderten, das Licht des Evangeliums in der Rede des eige-
nen Landes zu entzünden?" So der Germanist; aber auch der
Universalhistoriker hat Ursache genug, die tiefe Bedeutung der
Arbeit des Ulfilas dankbar zu erwägen. Wenn in der Septua-
ginta, an deren weltgeschichtliche Rolle uns neulich RANKE^ so
eindringlich gemahnt, gleichsam der Orient den Okzident durchs
alte Testament zum Erben seiner gediegensten Gabe eingesetzt,
so überreichte mit dem Inhalt des Codex argenteus das klassische
Altertum auf seinem Sterbelager der germanischen Zukunft seinen
letzten Willen im neuen Testament. Alles andere fand und schickte
sich hernach von selbst: dies eine bildete die erste und unumgäng-
lichste Wraussetzung für die Herstellung einer die Neuzeit mit
der antiken Welt zu einheitlicher Kulturentwicklung verhindenden
Succession. An direkter literarischer Wirkung kann sich das
gotische Buch mit jenem griechischen freilich mcht. von weitem
messen; dafür steht es jedoch an repräsentativem Werte für uns
mit mchten unter ihm. Wie dem einen unter den charakteristischen
Erzeugnissen des Hellenismus, so gebührt dem anderen der vor-
nehmste Rang unter denen der Völkerwanderung. Allerdings
muß man es zu solchem Behuf auch umgekehrt aus dieser seiner
Zeit erläutern.
i Gramm. P, p. VII. Einen Teil seines Gedankens findet man bereits
in einer Parallelstelle des alten Gotenfreundes Isidor von Sevilla ausgespro-
ohen (de ecclesiasticis officiis II, 23): cum per adventum s. spiritus discipuli
ejus inflammati linguis omnium gentium loquerentur, quo praesagio conse-
outum est, ut nulla iis gens extera, nulla lingua barbara, inaccessa vel invia
videretur, praeceptum est eis a Domino datum, ad praedicandum Dei verbum
ad singulas quasque nationes adire.
^ Weltgesch. III, 2, S. lff. Vgl. MoMMSEN, Röm. Gesch. V, 657f. über
die Bedeutung der Itala.
Sitzungsberichted. Heidelb.Akad., phil.-hist. KI. 1916. 8.Abh. 2