Studien zur Yorgeschichte des deutschen Yotksnamens.
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die neue Weitreligion durch ihr eigenes Lebensprinzip zurück-
verwiesen. Waren dem Christentum die verschiedenen Nationah-
täten, je für sich genommen, allezeit gleichgültig, so schrieb sich
das doch vornehmlich von der Tatsache her, daß es sie sämtlich
gleichermaßen für seinen Dienst m Anspruch nahm. Das Evan-
geiium wandte sich an 'alle Völker' und gab in dieser, Juden und
Heiden zu höherer, menschlicher Einheit verbindenden Formel -
π&ντκ τ& εΕνη, omnes gentes — dem Völkernamen seinen ehrlichen
Wert zurück^. Nach solcher Heimkehr des Gedankens ließ sich
denn auch wieder in der Einzahl sagen, daß έν πκντί έβ νεί., in omni
gente, wer Gott fürchte und recht tue, ihm angenehm seih Man
könnte einwerfen, diese Bemerkungen gehörten gar nicht hierher,
da in derartigen Wendungen die Idee des Heidentums nicht sowohl
modifiziert, als aufgelöst wird. Wie aber dann, wenn mit dieser
natürlichen, nationalen Funktion des Völkernamens die künst-
liche, heidnische unmittelbar vermengt erscheint ? Gegen die Mitte
des 5. Jahrhunderts ward zugunsten der Lehre von der Gnaden-
wahl eine theologische Schrift de vocatione omnium gentium ver-
faßt^. Wie der Titel anzeigt, ist ihr Thema die Bestimmung des
Heils für 'alle Völker'; und fast auf jeder Seite kann man sich
davon überzeugen, daß darunter omnes homines verstanden
werden, die universitas hommum, in der die gens Judaea sich mit
den ceterae nationes vereinigt finciet. Nulli nationi hominum hat
die Vorsehung ihre Gaben entzogen, neminem genere separavit,
heißt es von dem Gebot der Ausbreitung des Evangeliumsh Da-
neben aber liest man doch auch von denen, qui inter gentes — im
Gegensatz zum populus der Juden — Deo placuerunt, ja die
vocatio gentium selbst begegnet zugleich im engeren Sinn als
'Berufung' derHeiden, wie es einmal direkt erläutert wird: als
vocatis gentium, quae non erant populus Dei^. In diesem Satze
haben wir denn gleichsam die Brücke vor Augen, über welche der
Gedanke von der einen zur anderen Bedeutung des Ausdrucks
gentes hin uncl wieder ging: unzweifelhaft hat sich hier, auch wo
der Heiden als solcher gedacht wird, die Idee cler Völker geselhg
^ iüat. 28, 19.
2 Apg. 10, 35.
3 Gewöhnlich mit den Werken des Prosper Aquitanus ediert, dem sie
fälschiich zugeschrieben ward.
* II, 3; I, 5; II, 9; 2; vgl. noch I, 20; II, 5; 17; 29.
^ II, 5; 18.
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die neue Weitreligion durch ihr eigenes Lebensprinzip zurück-
verwiesen. Waren dem Christentum die verschiedenen Nationah-
täten, je für sich genommen, allezeit gleichgültig, so schrieb sich
das doch vornehmlich von der Tatsache her, daß es sie sämtlich
gleichermaßen für seinen Dienst m Anspruch nahm. Das Evan-
geiium wandte sich an 'alle Völker' und gab in dieser, Juden und
Heiden zu höherer, menschlicher Einheit verbindenden Formel -
π&ντκ τ& εΕνη, omnes gentes — dem Völkernamen seinen ehrlichen
Wert zurück^. Nach solcher Heimkehr des Gedankens ließ sich
denn auch wieder in der Einzahl sagen, daß έν πκντί έβ νεί., in omni
gente, wer Gott fürchte und recht tue, ihm angenehm seih Man
könnte einwerfen, diese Bemerkungen gehörten gar nicht hierher,
da in derartigen Wendungen die Idee des Heidentums nicht sowohl
modifiziert, als aufgelöst wird. Wie aber dann, wenn mit dieser
natürlichen, nationalen Funktion des Völkernamens die künst-
liche, heidnische unmittelbar vermengt erscheint ? Gegen die Mitte
des 5. Jahrhunderts ward zugunsten der Lehre von der Gnaden-
wahl eine theologische Schrift de vocatione omnium gentium ver-
faßt^. Wie der Titel anzeigt, ist ihr Thema die Bestimmung des
Heils für 'alle Völker'; und fast auf jeder Seite kann man sich
davon überzeugen, daß darunter omnes homines verstanden
werden, die universitas hommum, in der die gens Judaea sich mit
den ceterae nationes vereinigt finciet. Nulli nationi hominum hat
die Vorsehung ihre Gaben entzogen, neminem genere separavit,
heißt es von dem Gebot der Ausbreitung des Evangeliumsh Da-
neben aber liest man doch auch von denen, qui inter gentes — im
Gegensatz zum populus der Juden — Deo placuerunt, ja die
vocatio gentium selbst begegnet zugleich im engeren Sinn als
'Berufung' derHeiden, wie es einmal direkt erläutert wird: als
vocatis gentium, quae non erant populus Dei^. In diesem Satze
haben wir denn gleichsam die Brücke vor Augen, über welche der
Gedanke von der einen zur anderen Bedeutung des Ausdrucks
gentes hin uncl wieder ging: unzweifelhaft hat sich hier, auch wo
der Heiden als solcher gedacht wird, die Idee cler Völker geselhg
^ iüat. 28, 19.
2 Apg. 10, 35.
3 Gewöhnlich mit den Werken des Prosper Aquitanus ediert, dem sie
fälschiich zugeschrieben ward.
* II, 3; I, 5; II, 9; 2; vgl. noch I, 20; II, 5; 17; 29.
^ II, 5; 18.