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Dove, Alfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 8. Abhandlung): Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34079#0090
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ALFRED DOVE:

sonstige Abteilungen einer gens, sobald sie eigene Namen führten,
mißverstäncbich für förmliche gentes gehalten werden, obwohl
sie in der Tat weder früher noch später eine solche Stufe der Ent-
wicklung erreichten^. Durch derartige Fehlgriffe in der subjektiven
Auffassung erleidet indes der in Rede stehende Vorgang an sich
in seiner natürlichen Kdarheit keinen Eintrag, weshaib wir bei
seiner ahgemeinen Betrachtung nicht länger zu verweilen brauchen.
Wenn diesen Weg der Trennung des Verwandten zum Zweck
der Entwickiung neuer Arten die historische Schöpfungsweise mit
der physischen teilt, so ist der entgegengesetzte Pfad zum nämlichen
Ziei, die Methode der Verbindung des Fremden, der Geschichte
ausschließlich eigen. Unter dem mächtigen Zwange politischer
Triebe und Kräfte iäßt sie aus der Vereinigung mehrerer gentes
oder gentiler Bruchstücke eine umfangreichere gens von höherer
Bedeutung hervorgehen; ja sie vermag diesen Prozeß ethnischer
Vermischung und Verschmelzung, ganz ebenso wie den umgekehr-
ten der Differenzierung und Teilung, in gesteigerter Wirkung öfters
zu wiederholen. So sehen wir die größeren gentes der Wanderzeit,
Franken, Sachsen, Alemannen usw., welche ihrerseits unter aiier-
dings unbekannten Umständen aus der Verbindung jener zahl-
reichen kleineren Völkerschaften der Zeiten des Tacitus und Ptole-
mäus erwachsen waren, hernach die Elemente zu abermaligen
Kombinationen abgeben, als deren Produkte sich am Ende die
modernen Nationen darstellen, eine letzte und höchste Klasse von
gentes, wie auch sie im Latein des Mittelaiters ohne Unterschied
genannt werden. Die mechanische Seite des Herganges, die bloße
Ausdehnung des Begriffes der gens, ist auch hier verständlich
genug; wie jedoch der Kern der nationalen Idee, der Gedanke der
Stammes- und Blutsgenossenschaft, bei ihrer Übertragung auf eine
z. B. aus Germanen und Romanen komponierte Gesamtheit unver-
sehrt bleiben konnte, muß auf den ersten Blick rätselhaft erschei-
nen. Aiiein dies Rätsel iöst sich, wenn man bedenkt, daß die Idee
der Abstammung auc-h unter den reinsten Verhäitnissen isolierten
^ iSo bezeichnet Ammian (XXIX, 4, 7) die Bucinobantes als gens AJa-
manna, während er die Lentienses (XV, 4, 1; XXXI, 10, 2—-3) richtig als
Alamannici pagi, Alamannicus populus, natio aufführt. Vgl. über die Unver-
meidlichkeit solcher Irrtümer und Inkonsequenzen gegenüber den mannig-
faltigen und flüssigen politischen Zuständen der altgermanischen Zeit WAiTz,
Vfg. D, 20iff., insbesondere das Geständnis (S. 203): ,,unsere Sprache reicht
nur ebensowenig wie die der Alten aus, um diese Wrschiedenheiten vollstän-
dig zu bezeichnen."
 
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