Bogumil Goltz berührt bei einem Bericht etwa aus dem
Jahre 18001 den Begriff der Mystifikation und erzählt, er habe
sich arglos mystifizieren lassen, denn das Wort war damals kaum
unter den Erwachsenen, geschweige denn unter den Kindern, im
Gebrauch. Ohne das Wort denkt man aber nicht so leicht an die
Sache. Seine Bemerkung trifft den Nagel auf den Kopf: der Zu-
sammenhang zwischen Wort und Sache ist tief im menschlichen
Denken begründet. Eine Sache kann kein Leben unter Menschen
gewinnen, ehe ein Wort dafür vorhanden ist, und fester scheint
kaum ein Grundsatz einfachster Sprachbetrachtung zu stehen,
als der, daß erst eine Sache vorhanden sein muß, ehe ein Wort
dafür erwartet werden kann, daß darum das Vorhandensein des
Wortes das der Sache sicher verbürge und daß umgekehrt aus
dem Fehlen eines Wortes auf das Fehlen der Sache geschlossen
werden könne. Den indogermanischen Sprachen sind die Wörter
Vieh, Herde, Roß, Fohlen, Stier, Ochse, Kuh, Euter,
Kalb, Bock, Geiß, Widder, Schaf, Gans, Ente gemein-
sam. Wir schließen daraus, daß die beteiligten Stämme in ihrer
gemeinsamen Urzeit Viehzüchter waren. Wir lernen die andere
Wortgruppe Gerste, Granne, Grütze, Haber, Hirse, Korn,
Roggen, Rübe, Darre, Sense, Spaten, dreschen, mahlen,
säen als gemeinsamen Besitz der Westindogermanen kennen
und schließen daraus auf eine älteste europäische Kultur dieser
Völker mit einer Entwicklung des Ackerbaues, die der indoger-
manischen Urzeit noch fremd war. Wir finden fast in jeder deut-
schen Mundart ein eigenes Wort für Böttcher, Fleischer,
Klempner, Tischler, Töpfer, Hebamme und nehmen darum
an, daß die Deutschen diese Gewerbe in beruflicher Ausbildung
erst nach ihrer Spaltung in Stämme von verschiedenen Seiten
her kennen gelernt haben. So beherrscht der Schluß vom Wort
auf die Sache weithin unser sprachgeschichtliches Denken, unser
Bild von den Zuständen der vorgeschichtlichen Urzeit hat er
entscheidend gestaltet. Hält er auch stand, gemessen an den
1 Buch der Kindheit (1847) S. 434.
Jahre 18001 den Begriff der Mystifikation und erzählt, er habe
sich arglos mystifizieren lassen, denn das Wort war damals kaum
unter den Erwachsenen, geschweige denn unter den Kindern, im
Gebrauch. Ohne das Wort denkt man aber nicht so leicht an die
Sache. Seine Bemerkung trifft den Nagel auf den Kopf: der Zu-
sammenhang zwischen Wort und Sache ist tief im menschlichen
Denken begründet. Eine Sache kann kein Leben unter Menschen
gewinnen, ehe ein Wort dafür vorhanden ist, und fester scheint
kaum ein Grundsatz einfachster Sprachbetrachtung zu stehen,
als der, daß erst eine Sache vorhanden sein muß, ehe ein Wort
dafür erwartet werden kann, daß darum das Vorhandensein des
Wortes das der Sache sicher verbürge und daß umgekehrt aus
dem Fehlen eines Wortes auf das Fehlen der Sache geschlossen
werden könne. Den indogermanischen Sprachen sind die Wörter
Vieh, Herde, Roß, Fohlen, Stier, Ochse, Kuh, Euter,
Kalb, Bock, Geiß, Widder, Schaf, Gans, Ente gemein-
sam. Wir schließen daraus, daß die beteiligten Stämme in ihrer
gemeinsamen Urzeit Viehzüchter waren. Wir lernen die andere
Wortgruppe Gerste, Granne, Grütze, Haber, Hirse, Korn,
Roggen, Rübe, Darre, Sense, Spaten, dreschen, mahlen,
säen als gemeinsamen Besitz der Westindogermanen kennen
und schließen daraus auf eine älteste europäische Kultur dieser
Völker mit einer Entwicklung des Ackerbaues, die der indoger-
manischen Urzeit noch fremd war. Wir finden fast in jeder deut-
schen Mundart ein eigenes Wort für Böttcher, Fleischer,
Klempner, Tischler, Töpfer, Hebamme und nehmen darum
an, daß die Deutschen diese Gewerbe in beruflicher Ausbildung
erst nach ihrer Spaltung in Stämme von verschiedenen Seiten
her kennen gelernt haben. So beherrscht der Schluß vom Wort
auf die Sache weithin unser sprachgeschichtliches Denken, unser
Bild von den Zuständen der vorgeschichtlichen Urzeit hat er
entscheidend gestaltet. Hält er auch stand, gemessen an den
1 Buch der Kindheit (1847) S. 434.