\X^ie sehr doch der interessenstandpunkt der Gegenwart der
Historie die Wertmaßstäbe bestimmt, hat der Weltkrieg wieder
mit besonderer Deutlichkeit gezeigt. Während so manche großen
Probleme, wie z. B. die kirchenpolitischen, für eine Weile ganz
in den Hintergrund treten, sind Fragen, denen man früher nur
eine recht mäßige Teilnahme entgegenbrachte, plötzlich in den
Mittelpunkt gerückt, um sogar mit einer gewissen Leidenschaft
erörtert zu werden. Wer hat sich früher um die alten belgischen
Festungsverträge von 1818 und 1831, ihre Auslegung und Schick-
sale gekümmert ? Ob man nicht diejenigen in Deutschland, die
GoBLETs Bericht von 1863 wirklich gekannt hatten, an den Fin-
gern einer Hand herzählen könnte ? Neuerdings ist darüber in
Büchern, Zeitschriften und Tagesblättern so viel geschrieben,
wie sonst nur über die hervorragendsten Momente der Geschichte.
Der deutsche Einmarsch in Belgien, die leidenschaftliche Erörte-
rung der ganzen Welt über das Schicksal dieses, wie in fast allen
gemcincuropäischen Kriegen, so auch jetzt hart getroffenen
Kleinstaates, die Notwendigkeit einer Neuordnung seiner inter-
nationalen Lage haben das Interesse erweckt und lebendig er-
halten; insonderheit aber haben die klugen und kühnen Schril-
len des belgischen Majors GiRARD, seine auf E. Nys zurück-'
gehende These von der ,,durchlässigen Neutralität" Belgiens und
den nie außer Kraft getretenen preußischen Einmarschrechten
Aufsehen erregt und bei zahlreichen deutschen Gelehrten und
Pubhzisten Zustimmung gefunden, zu denen auch ich selbst
gehört habeL
Darüber durfte man sich freilich nicht täuschen, daß den
Aufstellungen ein gut Teil hypothetischen Charakters anhafte,
und daß erst noch eine gründlichere Durchprüfung der Quellen
zu erfolgen habe, ehe man sie dem gesicherten Bestände histori-
scher Erkenntnis einreihen dürfe. Ebendies habe ich in meinem
Buche ,,Das belgische Bollwerk" (Stuttgart, Berlin 1918) auf so
breiter Grundlage versucht, als es nur irgend die gegenwärtigen
*- Vgf. mein Buch ,.Belgiens Vergangenheit und Gegenwart", 2. Aufi.
1916, 8. 50.
Historie die Wertmaßstäbe bestimmt, hat der Weltkrieg wieder
mit besonderer Deutlichkeit gezeigt. Während so manche großen
Probleme, wie z. B. die kirchenpolitischen, für eine Weile ganz
in den Hintergrund treten, sind Fragen, denen man früher nur
eine recht mäßige Teilnahme entgegenbrachte, plötzlich in den
Mittelpunkt gerückt, um sogar mit einer gewissen Leidenschaft
erörtert zu werden. Wer hat sich früher um die alten belgischen
Festungsverträge von 1818 und 1831, ihre Auslegung und Schick-
sale gekümmert ? Ob man nicht diejenigen in Deutschland, die
GoBLETs Bericht von 1863 wirklich gekannt hatten, an den Fin-
gern einer Hand herzählen könnte ? Neuerdings ist darüber in
Büchern, Zeitschriften und Tagesblättern so viel geschrieben,
wie sonst nur über die hervorragendsten Momente der Geschichte.
Der deutsche Einmarsch in Belgien, die leidenschaftliche Erörte-
rung der ganzen Welt über das Schicksal dieses, wie in fast allen
gemcincuropäischen Kriegen, so auch jetzt hart getroffenen
Kleinstaates, die Notwendigkeit einer Neuordnung seiner inter-
nationalen Lage haben das Interesse erweckt und lebendig er-
halten; insonderheit aber haben die klugen und kühnen Schril-
len des belgischen Majors GiRARD, seine auf E. Nys zurück-'
gehende These von der ,,durchlässigen Neutralität" Belgiens und
den nie außer Kraft getretenen preußischen Einmarschrechten
Aufsehen erregt und bei zahlreichen deutschen Gelehrten und
Pubhzisten Zustimmung gefunden, zu denen auch ich selbst
gehört habeL
Darüber durfte man sich freilich nicht täuschen, daß den
Aufstellungen ein gut Teil hypothetischen Charakters anhafte,
und daß erst noch eine gründlichere Durchprüfung der Quellen
zu erfolgen habe, ehe man sie dem gesicherten Bestände histori-
scher Erkenntnis einreihen dürfe. Ebendies habe ich in meinem
Buche ,,Das belgische Bollwerk" (Stuttgart, Berlin 1918) auf so
breiter Grundlage versucht, als es nur irgend die gegenwärtigen
*- Vgf. mein Buch ,.Belgiens Vergangenheit und Gegenwart", 2. Aufi.
1916, 8. 50.