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KARL H A M R E :
hoffte man sich über den Durchmarsch nach den ersten Erfoigen
noch mit Belgien verständigen zu können, und die Rücksicht
darauf hat die Taktik der deutschen Politik natürlich mit bestimmt.
R. meint: „wenn man einen Prozeß anstrengt, so sammelt man
sorgfältig alle Beweise, die zugunsten des Anspruchs lauten, den
man vertritt," und ,,als eine lächerliche Skrupulosität müßte es
erscheinen, wenn die Partei selbst von vornherein aus falschem
Edelmut auf ein Argument verzichtete, welches vielleicht so sub-
tiler Natur ist, daß es der Richter etwa nicht, anerkennen würde".
Darauf aber kommt es doch eben an, ob die Beweisführung für
ein preußisches Einmarschrecht in Belgien, ganz abgesehen von
den interessierten Gegnern Deutschlands, zum mindesten in der
öffentlichen Aleinung der neutralen Welt Eindruck gemacht und
Zustimmung gefunden hätte. Eine Beweisführung mit tönernen
Füßen, die die Gegner leicht zerschlagen hätten, durfte man schwer-
lich zur Begründung des von der Not gebotenen militärischen Vor-
gehens verwenden, selbst wenn man damit die belgische Frage
für eine kurze Weile „in ein Gespinnst der Interpretation verwickelt"
haben würde.
Der Gedanke aber geht doch durch meine ganzen Darlegun-
gen hindurch — und damit möchte ich, selbst auf die Gefahr hin,
noch einmal den Vorwurf der Halbheit auf mich zu ziehen, diesen
Auseinandersetzungen mit R. einen versöhnlichen Abschluß
geben —, daß die historische Rechtsidee der belgischen Barriere
gegen Frankreich auch nach meiner Auffassung keineswegs allen
Wert verloren habe. Konnten bestimmte Einmarschforderungen
auf Grund einer solchen allgemeinen Herleitung auch nicht mit
überzeugender Kraft und am allerwenigsten im Sinne eines
zwingenden Rechtstitels erhoben werden, so müßte doch die
notwendige Neuordnung der ganzen belgischen Staatsverhält-
nisse, falls die militärische Lage beim Friedensschluß das nur irgend
gestatten würde, dazu drängen, sich auf die historische Rolle
dieses Bollwerks zu besinnen und die alten deutschen Ansprüche
auf eigene Sicherung durch Vorlagerung eines wenn auch selb-
ständigen und unabhängigen, so doch zum mindesten zuverlässig
neutralen und ebendadurch dem Schutze des Reiches dienenden,
keinesfalls aber feindlich gegen Osten gerichteten Staatsgebildes
nachdrücklich geltend zu machen. Findet man bei R. die Be-
merkung, „daß, selbst wenn das ius strictum noch zweifelhafter
Natur sein könnte, die historische Entwicklung seit zwei Jahr-
KARL H A M R E :
hoffte man sich über den Durchmarsch nach den ersten Erfoigen
noch mit Belgien verständigen zu können, und die Rücksicht
darauf hat die Taktik der deutschen Politik natürlich mit bestimmt.
R. meint: „wenn man einen Prozeß anstrengt, so sammelt man
sorgfältig alle Beweise, die zugunsten des Anspruchs lauten, den
man vertritt," und ,,als eine lächerliche Skrupulosität müßte es
erscheinen, wenn die Partei selbst von vornherein aus falschem
Edelmut auf ein Argument verzichtete, welches vielleicht so sub-
tiler Natur ist, daß es der Richter etwa nicht, anerkennen würde".
Darauf aber kommt es doch eben an, ob die Beweisführung für
ein preußisches Einmarschrecht in Belgien, ganz abgesehen von
den interessierten Gegnern Deutschlands, zum mindesten in der
öffentlichen Aleinung der neutralen Welt Eindruck gemacht und
Zustimmung gefunden hätte. Eine Beweisführung mit tönernen
Füßen, die die Gegner leicht zerschlagen hätten, durfte man schwer-
lich zur Begründung des von der Not gebotenen militärischen Vor-
gehens verwenden, selbst wenn man damit die belgische Frage
für eine kurze Weile „in ein Gespinnst der Interpretation verwickelt"
haben würde.
Der Gedanke aber geht doch durch meine ganzen Darlegun-
gen hindurch — und damit möchte ich, selbst auf die Gefahr hin,
noch einmal den Vorwurf der Halbheit auf mich zu ziehen, diesen
Auseinandersetzungen mit R. einen versöhnlichen Abschluß
geben —, daß die historische Rechtsidee der belgischen Barriere
gegen Frankreich auch nach meiner Auffassung keineswegs allen
Wert verloren habe. Konnten bestimmte Einmarschforderungen
auf Grund einer solchen allgemeinen Herleitung auch nicht mit
überzeugender Kraft und am allerwenigsten im Sinne eines
zwingenden Rechtstitels erhoben werden, so müßte doch die
notwendige Neuordnung der ganzen belgischen Staatsverhält-
nisse, falls die militärische Lage beim Friedensschluß das nur irgend
gestatten würde, dazu drängen, sich auf die historische Rolle
dieses Bollwerks zu besinnen und die alten deutschen Ansprüche
auf eigene Sicherung durch Vorlagerung eines wenn auch selb-
ständigen und unabhängigen, so doch zum mindesten zuverlässig
neutralen und ebendadurch dem Schutze des Reiches dienenden,
keinesfalls aber feindlich gegen Osten gerichteten Staatsgebildes
nachdrücklich geltend zu machen. Findet man bei R. die Be-
merkung, „daß, selbst wenn das ius strictum noch zweifelhafter
Natur sein könnte, die historische Entwicklung seit zwei Jahr-