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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0007
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I. Das Diatessaron und seine Bedeutung für die Textkritik der Evangelien. 7

lichkeit, einen festen Text des Neuen Testaments, vor allem der
Evangelien, zu gewinnen.9) Den Wirrwarr in den Handschriften
des griechischen Alten Testaments zu beseitigen, sei ihm gelungen,
indem er die andern Übersetzungen als Richtschnur lieraa-
gezogen habe. Aber bei den Handschriften des Neuen Testaments
sei der Unterschied so groß, daß alle Exemplare des Matthäus im
Zwiespalt miteinander seien10), ebenso auch die andern Evan-
gelien, und man dürfe daher niemand den Vorwurf der Gottlosig-
keit machen, wenn er in einer Handschrift an einer Stelle eine
Interpolation vermute. Für diesen unerfreulichen Zustand macht
Origenes teils die Leichtfertigkeit der Abschreiber, teils die Un-
aufmerksamkeit der Korrektoren verantwortlich. Aber ein Mittel,
ihm abzuhelfen, weiß er nicht anzugeben. Der Apparat, der kri-
tischen Ausgaben lehrt, daß der von Origenes bereits schmerzlich
empfundene Zustand der Textüberlieferung bei den Evangelien
sich auch ferner erhalten hat. Die Zahl erheblicher Varianten ist
vor allem bei den drei ersten außerordentlich groß, weil ihre Texte
bei dem nahen Verwandtschaftsverhältnis ihres Inhaltes sich fort
und fort gegenseitig beeinflussen mußten und auch tatsächlich
beeinflußt haben.
Den Schlüssel zur Lösung der Schwierigkeit meinte v. Soden
gefunden zu haben in der Annahme, daß alles Verderben von dem
Diatessaron Tatians herrühre. Er formuliert seinen textkritischen
Grundsatz so n): „Die von Tatian vertretene Lesart steht von vorn-
herein unter dem Verdacht, vom Urtext abzuweichen. Nur wo
mit Tatian zwei Rezensionen übereinstimmen und die dissen-
tierende mit einer Parallele zusammenstimmt, war die letztere
als sekundär zu beurteilen, auch dann, wenn die andere eben-
falls eine Parallele zur Seite hat.“ Mit diesem Grundsatz wird,
fast mechanisch, die Entscheidung über den AVert einer überaus
großen Menge von Varianten von dem Diatessaron Tatians ab-
hängig gemacht. Was mit ihm stimmt, wird in der Regel als se-
kundär zur Seite geschoben, da es im Verdacht stehe; vom Ur-
text abzuweichen.
9) Origenes, Gomm. in Matth. XV 14.
10) Er schreibt: και εΐ μέν μή περί άλλων πολλών διαφωνία ήν προς άλληλα
των αντιγράφων, ώστε πάντα τά κατά Ματθαίον μή συνάδειν άλλήλοις, όμοίως
δέ καί τά λοιπά ευαγγελία, κάν άσεβής τις IboZev είναι ό ύπονοών ένταΟθα
προσερρίφθαι ούκ ειρημένην υπό του σωτήρος 'πρός τον πλησίον' την Αγαπήσεις
τόν πλησίον σου ώς σεαυτόν5 έντολήν.
n) Handausgabe S. XXIII ; vgl. auch die große Ausgabe S. 1632 ff.
 
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