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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0044
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44

Erwin Preuschen:

sein, aus inneren Gründen die Zusammensetzung des Abschnittes
aus den verschiedenen Quellen aufzuzeigen. Und dabei ist es
doch;, abgesehen von unbedeutenden Änderungen, durchaus der
Wortlaut der Quellen, den Tatian im Diatessaron zu dem Leser
reden läßt.
Eine besondere Untersuchung verlangt die Frage, welchen
Text Tatian für das 4. Evangelium benutzt hat. Das Verhältnis
zu den Synoptikern machte es notwendig, die aus ihm über-
nommenen Stücke als selbständige Bestandteile1 einzugliedern.
Nur bei der Leidensgeschichte war teilweise ein anderes Ver-
fahren möglich. Der Text, den Tatian benutzte, weicht aber so
stark von dem griechischen Text, wie wir ihn heute lesen, ab,
daß die Annahme unvermeidlich ist, Tatian habe eine Gestalt des
Evangeliums benützt, die wir heute nicht mehr besitzen, und von
der der jetzige Text eine Überarbeitung darstellt. Da der Nach-
weis an dieser Stelle jedoch nicht geführt werden kann, ohne die
Untersuchung ungebührlich zu belasten, muß er einer besonderen
Abhandlung Vorbehalten bleiben. Hier muß der allgemeine Hin-
weis genügen, daß- dieser eigenartige und für die Kritik des 4. Evan-
geliums nicht unerhebliche Sachverhalt bisher weder gewürdigt
noch auch nur richtig erkannt worden ist. Der Grund dafür ist
wohl darin zu suchen, daß das Diatessaron seinem Text nach noch
nicht genügend bekannt war, daß es aber andererseits auch in
seiner grundlegenden Bedeutung für die Text- und Kanons-
geschichte noch niemals eingehend verwertet worden ist.
4.
Die Voraussetzung für eine solche Würdigung ist allerdings
die Annahme, daß das Diatessaron in Born abgefaßt, und zwar
ursprünglich in griechischer Sprache abgefaßt war, und daß die
syrische Form, von der nach der herkömmlichen Ansicht unsere
ganze Kenntnis abhängt, eine Übersetzung darstellt. Ist diese
Annahme falsch, ist das Diatessaron nie griechisch vorhanden
gewesen und im Abendland überhaupt nur durch einen Zufall
bekannt geworden, wie Zahn behauptet, so sind allerdings alle
im Vorstehenden gezogenen Folgerungen hinfällig. In diesem
Falle würde das Diatessaron nur für die Überlieferungsgeschichte
der Evangelien in Betracht kommen, und die einzige Frage, die
uns beschäftigen könnte, wäre die, ob es der syrischen Über-
setzung der Einzelevangelien zeitlich vorangehend zu denken
 
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