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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0017
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I, Das Diatessaron und seine Bedeutung für die Textkritik der Evangelien. 17

es war Paulus, der „Apostel“ schlechthin. Somit hatte die
Schriftensammlung Tatians genau denselben Umfang, wie die-
jenige Markions. Sie enthielt ein Evangelium und die Paulus-
briefe; die letzteren in einer, allerdings nicht unter dogmatischen
Gesichtspunkten hergestellten bereinigten Gestalt. Sie war für
den Gebrauch der Kirche berechnet, denn sie enthielt alles, was
für diese an normativen Schriften auffindbar war; und sie ent-
hielt es in einer Gestalt, an der auch die Gebildeten keinen An-
stoß mehr nehmen konnten, sofern die sprachlichen Härten be-
hutsam beseitigt waren. Auch hier drängt sich wieder die Frage
auf, ob Tätian vor Markion den Vorrang verdient, oder umgekehrt
dieser für jenen der Führer gewesen ist. Für beides lassen sich
Gründe geltend machen. Entscheiden läßt sich die Frage mit all-
gemeinen Gründen nicht. Eine Lösung wäre nur möglich, wenn
sich zeigen ließe, daß Tätian Eigentümlichkeiten des markioniti-
• sehen Lukas in sein Diatessaron aufgenommen hätte, wobei immer
noch die Möglichkeit offen gehalten werden müßte, daß solche
vermeintlichen Eigentümlichkeiten nichts anderes wären, als Be-
sonderheiten des Lukastextes, wie man ihn um 150 in Rom las.34)
Aber eine andere Erwägung darf wohl hier angestellt werden.
Man pflegt es als eine, gleichsam durch die Vorsehung ge-
botene selbstverständliche Notwendigkeit anzusehen, daß Tatian
ein Evangelium aus der Vereinigung von vier Schriften geschaffen
hat. Statt dessen müßte man sich im Grund über diese Tatsache
billig wundern, da sie voraussetzt, entweder daß die Kirche um
150 bereits vier Evangelien in unbestrittenem Gebrauch hatte, oder
quae est ad Corinthios, memifestissime ostendisse dicentem. Vgl. 27, 4; 28 3;
29, 1; 33, 11. V 3, 1 hat Johannes v. Damascus, der die Stelle in den Sacra
parallela exzerpiert hat, geschrieben: σαφέστατα δέ Παύλος άπέδειΕεν. Irenaus
hatte, wie der Lateiner ausweist, der durch den Armenier gestützt wird, geschrieben :
σαφέστατα δέ δ άπόστολος άπέδειΕεν . . . έν τί) ß' προς Κορινθίους ειπών. Für
den Exzerptor war anstößig, was für Irenaus selbstverständlich war. Bei Clemens
Alex, wird nur selten der Name des Paulus genannt oder der Brief genauer be-
zeichnet. Meist zitiert er mit der Formel δ άπόστολος φησι, ει'ρηκεν, λέγει, wo-
bei zuweilen noch besonders auszeichnende Epitheta, wie θείος, θεσπέσιος, γενναίος,
μακάριος, hinzugefügt werden. Bei Origenes überwiegen die genaueren Zitate mit
Angabe der Schrift.
34) In seltenen Fällen geht der Text Markions mit den Lukasstücken des
Diatessarons zusammen. Aber nirgends läßt sich sagen, daß es Stellen sind, an
denen Markion seiner Dogmatik zuliebe willkürlich geändert hat. So läßt sich
auf diese Weise kein Anhalt für die Bestimmung des gegenseitigen Verhältnisses
gewinnen.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, philos.-hist.Kl. 1918. Io. Abh.

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