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Erwin Preuschen:
knüpfte. Träger dieser Überlieferung waren aber nicht namenlose
Jünger oder irgendwelche Lichter, die aus dem Dunkel auf-
tauchten, sondern immer und überall nur die Apostel. Die Ge-
meinden, die sich apostolischen Ursprunges rühmen konnten,
machten daher in Fragen der Lehre und Sitte diesen Ursprung
unbedenklich geltend, wenn es darauf ankam, ihre Eigentümlich-
keiten gegen Angriffe oder Verdächtigungen zu schützen.39) Das
galt in besonderem Maß von den Grundlagen des Glaubens, für
die um so mehr eine über alle Beanstandung erhabene Über-
lieferung verlangt werden mußte, je eifriger auch die gnostischen
Schulen darauf bedacht waren, ihre Lehren auf Männer der christ-
lichen Urzeit zurückzuführen. Daher konnte Irenäus im Zu-
sammenhang mit seinen Erörterungen des auf die Überlieferung
gegründeten Beweises der Kirche schreiben, daß keine andere Be-
gründung des Heils anerkannt werden könne, als eine durch die
Männer, durch die das Evangelium bis zur Gegenwart gelangt sei,
d. h. aber eben durch die Apostel.40) Durch sie allein schien die
Einheit des im Gesetz und dem Evangelium redenden und schrift-
lich auf bewahrten Geistes gewährleistet.41)
Bei dieser Bewertung des Apostolischen ist es begreiflich,
daß die Bemühungen der Kirche vor allem darauf gerichtet
waren, den kanonischen Evangelien apostolischen Ursprung zu
sichern. Irenäus fügt daher an die eben angeführte Erörterung
über die Unentbehrlichkeit der apostolischen Überlieferung eine
dahin zielende Übersicht über die Evangelien an42): ό μεν δή Ματθαίος
εν τοΐς Έβραίοις rrj ιδία αυτών διαλέκτω και γραφήν έξήνεγκεν ευαγ-
γελίου, τοΰ Πέτρου και του Παύλου εν Ρώμη ευαγγελισμένων και
θεμελιούντων την εκκλησίαν, μετά δε την τούτων έξοδον Μάρκος, ό
39) Besonders lehrreich sind in dieser Hinsicht die Streitigkeiten, die im
2. Jahrh. über die Feier des christlichen Pascha zwischen Rom und Kleinasien
ausgefochten wurden, und deren Verständnis dadurch nicht gefördert worden ist,
daß man sie benutzt hat, um Zeugnisse für die Abfassung des vierten Evan-
geliums zu gewinnen. Bei diesem Streit stand eine apostolische Überlieferung gegen
die andere, und das erschwerte das Nachgeben und den Vergleich.
40) Irenaeus III 1, 1: non enim per alios dispositionem salutis nostrae cog-
novimus, quam per eos, per quos evangelium pervenit ad nos; quod quidem tune
praeconaverunt, postea vero per dei voluntatem in scripturis nobis tradiderunt,
iundamentum et columnam fidei nostrae futurum.
41) Dieser Gedankengang wird ziemlich gleichzeitig von verschiedenen Seiten
ausgesprochen; vgl. Theophilus, ad Autol. III 12; Clemens Alex., Str. IV 1, 2; III
12, 73 ff.; Tertullian, adv. Marc. IV 2. 5; Origenes bei Eusebius, h. e. IV 25, 4 ff.
42) Den griechischen Wortlaut hat Eusebius, h. e. V 8, 2 ff. aufbewahrt.
Erwin Preuschen:
knüpfte. Träger dieser Überlieferung waren aber nicht namenlose
Jünger oder irgendwelche Lichter, die aus dem Dunkel auf-
tauchten, sondern immer und überall nur die Apostel. Die Ge-
meinden, die sich apostolischen Ursprunges rühmen konnten,
machten daher in Fragen der Lehre und Sitte diesen Ursprung
unbedenklich geltend, wenn es darauf ankam, ihre Eigentümlich-
keiten gegen Angriffe oder Verdächtigungen zu schützen.39) Das
galt in besonderem Maß von den Grundlagen des Glaubens, für
die um so mehr eine über alle Beanstandung erhabene Über-
lieferung verlangt werden mußte, je eifriger auch die gnostischen
Schulen darauf bedacht waren, ihre Lehren auf Männer der christ-
lichen Urzeit zurückzuführen. Daher konnte Irenäus im Zu-
sammenhang mit seinen Erörterungen des auf die Überlieferung
gegründeten Beweises der Kirche schreiben, daß keine andere Be-
gründung des Heils anerkannt werden könne, als eine durch die
Männer, durch die das Evangelium bis zur Gegenwart gelangt sei,
d. h. aber eben durch die Apostel.40) Durch sie allein schien die
Einheit des im Gesetz und dem Evangelium redenden und schrift-
lich auf bewahrten Geistes gewährleistet.41)
Bei dieser Bewertung des Apostolischen ist es begreiflich,
daß die Bemühungen der Kirche vor allem darauf gerichtet
waren, den kanonischen Evangelien apostolischen Ursprung zu
sichern. Irenäus fügt daher an die eben angeführte Erörterung
über die Unentbehrlichkeit der apostolischen Überlieferung eine
dahin zielende Übersicht über die Evangelien an42): ό μεν δή Ματθαίος
εν τοΐς Έβραίοις rrj ιδία αυτών διαλέκτω και γραφήν έξήνεγκεν ευαγ-
γελίου, τοΰ Πέτρου και του Παύλου εν Ρώμη ευαγγελισμένων και
θεμελιούντων την εκκλησίαν, μετά δε την τούτων έξοδον Μάρκος, ό
39) Besonders lehrreich sind in dieser Hinsicht die Streitigkeiten, die im
2. Jahrh. über die Feier des christlichen Pascha zwischen Rom und Kleinasien
ausgefochten wurden, und deren Verständnis dadurch nicht gefördert worden ist,
daß man sie benutzt hat, um Zeugnisse für die Abfassung des vierten Evan-
geliums zu gewinnen. Bei diesem Streit stand eine apostolische Überlieferung gegen
die andere, und das erschwerte das Nachgeben und den Vergleich.
40) Irenaeus III 1, 1: non enim per alios dispositionem salutis nostrae cog-
novimus, quam per eos, per quos evangelium pervenit ad nos; quod quidem tune
praeconaverunt, postea vero per dei voluntatem in scripturis nobis tradiderunt,
iundamentum et columnam fidei nostrae futurum.
41) Dieser Gedankengang wird ziemlich gleichzeitig von verschiedenen Seiten
ausgesprochen; vgl. Theophilus, ad Autol. III 12; Clemens Alex., Str. IV 1, 2; III
12, 73 ff.; Tertullian, adv. Marc. IV 2. 5; Origenes bei Eusebius, h. e. IV 25, 4 ff.
42) Den griechischen Wortlaut hat Eusebius, h. e. V 8, 2 ff. aufbewahrt.