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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0059
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1. Das Dintessaron und seine Bedeutung für die Textkritik der Evangelien. 59

bei dem Volk genoßt und das er durch seine Achtbarkeit ver-
diente, spiegelt sich auch darin wider, daß die Christen jetzt den
Mut fanden, ihre Sache vor ihm zu vertreten und gegen die häß-
lichen und unsinnigen Gerüchte in Schutz zu nehmen, die schon
längst unter dem Volk im Umlauf waren. Wenn ein Mann von
dem Bildungsstand des Tacitus die Christen unbesehen als Leute
bezeichnen kann, die, wegen ihrer Untaten verhaßt, die härtesten
Strafen verdient hätten (Annal. XV 44), und wenn er das Be-
dauern über ihr furchtbares Schicksal unter Nero nur damit zu
erklären weiß, daß man die Einmischung des Kaisers in den Pro-
zeß zu ihren Gunsten deutete, weil er eben noch verhaßter war,
so läßt das ahnen, wie man im Volk über die Christen gedacht
und was man von ihnen geredet hat. Wie ratlos zu derselben Zeit
ein gebildeter Mann, der doch auch in der Philosophie bewandert
war, der geistigen und religiösen Eigenart der Christen gegenüber-
stand, zeigt der Brief, den Plinius in Sachen des Christentums an
Trajan richtete (ep. X 06). Das Christentum ist für ihn ein Aber-
glaube, der sich wie eine ansteckende Krankheit über Stadt und
Land verbreitet hat, und wenn die Christen auch an sich harm-
los sein mögen, so machen sie sich doch durch ihre hartnäckige
Widersetzlichkeit, mit der sie eine Verleugnung ihres Glaubens
ablehnen, straffällig. Das ist dieselbe Beurteilung, die auch Marc
Aurel (εις εαυτόν X 13) den Christen zuteil werden ließ 11 *). und die
man demnach wohl als die in den Kreisen der Stoa übliche an-
sehen darf. Vortrefflich stimmt dazu auch die Tatsache, daß der-
selbe Kaiser auch die Strafe der Verbannung auf eine Insel
über diejenigen verhängt wissen wollte, die durch Drohungen mit
den Strafen einer Gottheit bei den Menschen Verwirrung stif-

1U) Die Todesbereitschaft erscheint dem kaiserlichen Philosophen als etwas
Rühmliches, aber nicht die der Christen; denn bei ihnen leugnet er, daß sie eine
Folge ihrer philosophischen Lebensanschauung sei. Er führt sie vielmehr auf
bloßen Starrsinn zurück. Daher vermißt er bei den Märtyrern Überlegung, Würde
und Natürlichkeit. Man braucht nur die ältesten Märtyrerakten zu lesen, um zu
erkennen, daß das Urteil des M. Aurelius nicht ganz unberechtigt war. Eine
Rechtfertigung ihres Verhaltens im Sinne der Stoa war den schlichten Christen
zu geben unmöglich, wäre ihnen auch als ein lächerliches Verlangen erschienen.
Auch das läßt sich begreifen, daß auf Fernstehende das Verhalten der Märtyrer
zuweilen den Eindruck machte, es 'sei auf theatralische Wirkung abgesehen.
Den Vorwurf, daß die Christen Rechenschaft verweigern, bucht auch Justin.,
Apol. I 53: ημείς μόνον λεγομεν, άλλ’ ούκ έπώεΐΐαι εχομεν. Vgl. Keim, Celsus’
wahres Wort, 1873, S. 7 3.
 
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