Metadaten

Hausrath, August; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 2. Abhandlung): Achiqar und Aesop: das Verhältnis der orientalischen zur griechischen Fabeldichtung — Heidelberg, 1918

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37664#0044
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
44

August Hausrath:

decken lassen will, vielleicht auch die Geschichte von den Läm-
mern und dem Bär (Wolf), dann der Brief des Dornstrauchs an
den Granatbaum. In den späteren Fassungen die Hohnrede des
Fuchses an die auf dem Dornstrauch im Gießwasser treibende
Schlange — oben N 2 —, das Zwiegespräch der Katze mit den
geraubten jungen Schwalben N 10, der Trotz des gefällten Bau-
mes, der den Holzhauern vorhält, daß sie ihn nur durch einen
Teil seiner Kraft bewältigt hätten N 1. Die erste rein lehrhafte
Fabel scheint in der im Papyrus leider nur in Trümmern erhaltenen
Erzählung vom Löwen und Hirschen vorzuliegen mit dem ent-
rüsteten Schlußausruf: Ja, so ist das Zusammentreffen des Star-
ken mit dem Schwachen!
Wollen wir hier schon versuchen, den Vergleich zu ziehen,
so drängt sich bei aller Analogie doch der Eindruck vor, daß die·
griechische Fabel aus stärkeren und tieferen Quellen gespeist
wird als die orientalische. Wie nackt und brutal schreit der Orien-
tale heraus, was der Grieche poesievoll und doch ursprünglich an-
mutend im Bilde andeutet.
Greifbarer wird der Gegensatz, wenn wir den Rahmen ver-
gleichen, in dem die orientalische Weisheitslehre wie das jonische
Volksbuch ihre sinnvollen Tiergeschichten und lehrhaften Er-
zählungen darbieten. Auch hier gebietet der Grieche über einen
volleren und zugleich männlicheren Ton als der Orientale. Das
Volksbuch1 läßt den Aesop in Samos als Sklaven seinen Herrn,
den Philosophen Xanthos, beschämen und schließlich in einer
Volksversammlung sich die Freiheit ertrotzen und so zu einer
führenden Persönlichkeit im öffentlichen Leben werden. So zieht
er dann als Vertreter volkstümlicher Weisheit gegenüber der der
offiziellen Weisen und des Demos gegenüber den Gebietenden
als „Fleisch gewordener Protest gegen die Forderungen und An-
schauungen, die Urteile und Vorurteile des Adels“2 von Stadt zu
Stadt, überall seine Ratschläge in die Form der αίνοι kleidend.
In Delphi kommt er dann in Konflikt mit den Priestern, die die
gewinnsüchtige Menge des Wallfahrtsortes gegen ihn aufzustacheln
wissen und wird ermordet. Aber der Gott selbst nimmt die Rache

1 Vgl. meinen Rekonstruktionsversuch R. B. VI 1708—-11, Thiele,
Neue Jahrb. XXI (1908) 377. 78; Marc, Byz. Ztschr. XIX (1910) 383; Cru-
sius, Fragmente aus der Gesch. d. Fabel (1913) XVI—XVIII.
2 Crusius a. a. Ο. XVII.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften