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Pagenstecher, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 1. Abhandlung): Über das landschaftliche Relief bei den Griechen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37678#0014
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6

Rudolf Pagenstecher:

Das landschaftliche Relief hat in dieser Umgebung nicht
seinen Platz. Für seine höchste Vollendung sind zwei Vorbedin-
gungen, die auseinander folgen, vorher zu erfüllen: eine gewisse
Beherrschung der Perspektive und die Loslösung des Reliefs von
der Architektur. Nur wenn wenigstens die allgemeinsten per-
spektivischen Gesetze bekannt sind, kann ein geschlossenes Land-
schaftsbild entstehen. Perspektivische Vertiefung aber schließt
die Verwendung eines solchen Reliefs innerhalb einer Architektur
aus5. Denn die Einzelflächen des griechischen Tempels sind
durchaus zweidimensional, trotz der starken Einstellung auf
Tiefenwirkung, die ihm eigen ist6. Ein Hinübergreifen in die
dritte Dimension nimmt den Reliefs des Frieses oder der Metope
im Auge des Beschauers die Möglichkeit, ihre künstlerische Funk-
tion zu erfüllen. Durch das Einfügen der Tiefendimension ent-
ständen in der einheitlichen Fläche des architektonischen Reliefs
Lücken, die optisch gleichsam den Einbruch des über ihm lagern-
den Gebälks zur Folge haben würden. Die in der griechischen
Kunst durch lange Zeit mit Konsequenz durchgeführte Isokephalie
muß ihren Grund in der gleichen Erwägung haben.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß das landschaftliche
Relief nur in denjenigen Perioden der griechischen Kunstent-
wicklung seinen Platz haben kann, in welchen entweder das
Relief noch nicht in den Bann der Architektur eingetreten war
oder bereits von diesem Bann durch eine lange Entwicklung
sich gelöst hatte, das heißt in der Periode der Vorbereitung und
in der der Auflösung, in der Periode der archaischen und der
hellenistischen Kunst.
Zwischen den beiden liegt die Zeit des großen, des klassischen
Stils. Um eine höhere Einheit zu erreichen, in der Einfachheit
und Klarheit das einzig erstrebenswerte Ziel sind, wird auf alles
verzichtet, was die archaische Kunst an Nebendingen brachte.
Die Reliefkunst des Quattrocento und des Cinquecento läßt uns
die gleichen Gegensätze erkennen7, und was das letztere an innerer
Bereicherung durch diese Vereinfachung erhielt, suchte das Sei-
5 Auf die Ausnahmen der Friese von Xanthos und Gjölbaschi (Del-
brück, Beiträge zur Kenntnis der Linienperspektive in der griech. Kunst
S. 39 f.) wird später eingegangen werden.
6 Vgl. Eicicen, Der Baustil, Grundlegung zur Erkenntnis der Baukunst
S. 30 ff.
7 Wölfflin, Die klassische Kunst S. 233ff.
 
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