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Rudolf Pagenstecher:
Die lange Reihe der Grabreliefs, wie sie uns auf den attischen
Friedhöfen, auch in den Denkmälern Südrußlands, Ägyptens und
auf den Grabkultvasen Unteritaliens entgegentritt, verzichtet auf
die Landschaft10. In engen architektonischen Rahmen gepreßt,
dessen Beschränkung die mächtigen Gestalten der Dargestellten
nur zu oft zu sprengen drohen, ist eine Gruppe von wenigen Per-
sonen vereinigt, oder der Tote steht allein oder mit einem kleinen
Diener vor uns. Selten ist das Notwendigste an äußerlichem Bei-
werk, sind etwa die Geräte der Palästra hinzugefügt, nicht um
den Schauplatz, sondern um das Wesen und die Tätigkeit des
Verstorbenen näher zu charakterisieren. Der nur auf das Mensch-
liche gerichtete Gedanke des Künstlers und des Auftraggebers
vermied jedes Nebenwerk, welches von der Betrachtung der schö-
nen und erhabenen Menschlichkeit und von der tiefen Empfindung,
welche das Bild des Verstorbenen hervorzurufen bestimmt oder
geeignet war, hätte ablenken können. Die Architektur bot in den
meisten Fällen den Rahmen; in ihn etwas anderes als nur den
Menschen zu setzen, so wie der Gott unter seinem Naiskos stand,
wäre dem an alter Tradition gebildeten Stilempfinden des griechi-
schen Künstlers als unmöglich erschienen.
Späterer Zeit ist es Vorbehalten geblieben, die Gestade der
Unterwelt und den düsteren Fährmann, der sich den ihm be-
stimmten Sterblichen nähert11, reliefplastisch zur Darstellung zu
bringen und dem gelagerten oder dem ruhig stehenden Toten
als schmückende Umgebung reicheres Beiwerk oder einige land-
schaftliche Elemente, Baum und Säule oder Pfeiler hinzuzufügen12.
Vielfach hat man in dieser Erweiterung der dem Relief zu
überlassenden Gebiete der Darstellung den Einfluß der Malerei
erkennen wollen. Ein solcher Versuch, bisher nicht nachweisbare
Erscheinungen bei scheinbar plötzlichem Auftreten durch Über-
nahme von Gesetzen zu erklären, die ursprünglich für ein anderes
Gebiet der bildenden Kunst gefunden waren, ist nur dann ver-
ständlich, wenn diese neuen Erscheinungen in Wahrheit mit der
Technik, in welcher sie auftreten, auf keine Weise in Einklang
10 Außer Conze, Kieseritzky-Watzinger und den „Unteritalischen
Grabdenkmälern“ Pfuhl, Athen. Mitt. XXVI 1901 S. 258ff. und Expedition
Ernst von Sieglin II 1 A S. 8ff. (im Druck).
31 Conze, Die attischen Grabreliefs II 2 Taf. CCLI. Die Deutung jedoch
umstritten: S. 260f.
12 Pfuhl, Arch. Jahrb. XX, 1905, S. 47ff.
Rudolf Pagenstecher:
Die lange Reihe der Grabreliefs, wie sie uns auf den attischen
Friedhöfen, auch in den Denkmälern Südrußlands, Ägyptens und
auf den Grabkultvasen Unteritaliens entgegentritt, verzichtet auf
die Landschaft10. In engen architektonischen Rahmen gepreßt,
dessen Beschränkung die mächtigen Gestalten der Dargestellten
nur zu oft zu sprengen drohen, ist eine Gruppe von wenigen Per-
sonen vereinigt, oder der Tote steht allein oder mit einem kleinen
Diener vor uns. Selten ist das Notwendigste an äußerlichem Bei-
werk, sind etwa die Geräte der Palästra hinzugefügt, nicht um
den Schauplatz, sondern um das Wesen und die Tätigkeit des
Verstorbenen näher zu charakterisieren. Der nur auf das Mensch-
liche gerichtete Gedanke des Künstlers und des Auftraggebers
vermied jedes Nebenwerk, welches von der Betrachtung der schö-
nen und erhabenen Menschlichkeit und von der tiefen Empfindung,
welche das Bild des Verstorbenen hervorzurufen bestimmt oder
geeignet war, hätte ablenken können. Die Architektur bot in den
meisten Fällen den Rahmen; in ihn etwas anderes als nur den
Menschen zu setzen, so wie der Gott unter seinem Naiskos stand,
wäre dem an alter Tradition gebildeten Stilempfinden des griechi-
schen Künstlers als unmöglich erschienen.
Späterer Zeit ist es Vorbehalten geblieben, die Gestade der
Unterwelt und den düsteren Fährmann, der sich den ihm be-
stimmten Sterblichen nähert11, reliefplastisch zur Darstellung zu
bringen und dem gelagerten oder dem ruhig stehenden Toten
als schmückende Umgebung reicheres Beiwerk oder einige land-
schaftliche Elemente, Baum und Säule oder Pfeiler hinzuzufügen12.
Vielfach hat man in dieser Erweiterung der dem Relief zu
überlassenden Gebiete der Darstellung den Einfluß der Malerei
erkennen wollen. Ein solcher Versuch, bisher nicht nachweisbare
Erscheinungen bei scheinbar plötzlichem Auftreten durch Über-
nahme von Gesetzen zu erklären, die ursprünglich für ein anderes
Gebiet der bildenden Kunst gefunden waren, ist nur dann ver-
ständlich, wenn diese neuen Erscheinungen in Wahrheit mit der
Technik, in welcher sie auftreten, auf keine Weise in Einklang
10 Außer Conze, Kieseritzky-Watzinger und den „Unteritalischen
Grabdenkmälern“ Pfuhl, Athen. Mitt. XXVI 1901 S. 258ff. und Expedition
Ernst von Sieglin II 1 A S. 8ff. (im Druck).
31 Conze, Die attischen Grabreliefs II 2 Taf. CCLI. Die Deutung jedoch
umstritten: S. 260f.
12 Pfuhl, Arch. Jahrb. XX, 1905, S. 47ff.