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Rudolf Pagenstecher:
Auch wenn sich die Figuren im Giebelfeld von der Rückwand lösen
und rundplastisch in den Raum hineintreten, wirken sie als Relief-
figuren, denn für das Auge des tiefstehenden Beschauers sind ihre
Konturen mit der Rückwand verbunden14.
Der Unterschied zwischen der Auffassung des architektoni-
schen Reliefs in archaischer und klassischer Zeit fällt am Fries
und im Giebel stärker in die Augen als in der so eng umrahmten
Metope, innerhalb derer Abweichungen von der stets gleichblei-
benden Forderung nach möglichst vollständiger und ansprechender
Ausfüllung des zur Verfügung stehenden Raumes zu keiner Zeit
Vorkommen konnten. Am klarsten wird uns die Differenz bei der
Betrachtung des Fortschrittes, oder besser der Umwandlung, die
wir innerhalb weniger Jahre auf dem Gebiete der Giebelskulptur
sich vollziehen sehen: am Aeginetentempel lediglich das Be-
streben, den gegebenen ungünstig umgrenzten Raum mit Figuren
auszufüllen. Auf und ab wogt der Kampf der in wenige Gruppen
geteilten Krieger. Ein Vor und Zurück, ein Hin und Her, ein
Heben und Senken. Auf sich allein gestellt nehmen diese Gestal-
ten nur Rücksicht auf den Rahmen, der sie umschließt; ihre hef-
tige und komplizierte Bewegung steht in keiner Beziehung zu der
größeren Einheit, der sich die Architektur des Giebels selbst doch
unterordnet, dem Tempel.
Wie anders in Olympia, jenem Tempel, der in einer Zeit ent-
stand, welche über alles andere das Bestreben stellt, aus der ge-
bundenen Ungebundenheit archaischen Seins sich durchzuringen
zu einer höheren ungebundenen Gebundenheit, welche die Frei-
heit des Einzelnen wahrt, doch sie in Freiwilligkeit dem Staat als
dem Eigentum und dem Ideal eines Jeden unterordnet. Unend-
lich viel freier ist innerhalb der sie umgrenzenden Konturen jede
einzelne der Figuren des Ostgiebels als die so viel reicher bewegten
Kämpfer von Aegina. Doch eine höhere Ordnung beherrscht sie
und bannt sie beinahe in dieselben Fesseln, welche die Archi-
tektur beschränken. Wie eine Fortsetzung der dorischen Säulen-
halle des Baues stehen oben im Giebelfeld die mächtigen Gestalten
des Oinomaos und des Pelops und der Frauen und Männer und
Rosse. Niemals ist eine Architektur in so vollkommener äußerer
Harmonie zwischen Bauglied und Bildschmuck aufgeführt wor-
14 „Reliefs mit faktischem Tiefenmaß“ nennt E. Tross die Giebel-
kompositionen (Studien zur Raumentwicklung in Plastik und Malerei, Gießen
1913, S. 11).
Rudolf Pagenstecher:
Auch wenn sich die Figuren im Giebelfeld von der Rückwand lösen
und rundplastisch in den Raum hineintreten, wirken sie als Relief-
figuren, denn für das Auge des tiefstehenden Beschauers sind ihre
Konturen mit der Rückwand verbunden14.
Der Unterschied zwischen der Auffassung des architektoni-
schen Reliefs in archaischer und klassischer Zeit fällt am Fries
und im Giebel stärker in die Augen als in der so eng umrahmten
Metope, innerhalb derer Abweichungen von der stets gleichblei-
benden Forderung nach möglichst vollständiger und ansprechender
Ausfüllung des zur Verfügung stehenden Raumes zu keiner Zeit
Vorkommen konnten. Am klarsten wird uns die Differenz bei der
Betrachtung des Fortschrittes, oder besser der Umwandlung, die
wir innerhalb weniger Jahre auf dem Gebiete der Giebelskulptur
sich vollziehen sehen: am Aeginetentempel lediglich das Be-
streben, den gegebenen ungünstig umgrenzten Raum mit Figuren
auszufüllen. Auf und ab wogt der Kampf der in wenige Gruppen
geteilten Krieger. Ein Vor und Zurück, ein Hin und Her, ein
Heben und Senken. Auf sich allein gestellt nehmen diese Gestal-
ten nur Rücksicht auf den Rahmen, der sie umschließt; ihre hef-
tige und komplizierte Bewegung steht in keiner Beziehung zu der
größeren Einheit, der sich die Architektur des Giebels selbst doch
unterordnet, dem Tempel.
Wie anders in Olympia, jenem Tempel, der in einer Zeit ent-
stand, welche über alles andere das Bestreben stellt, aus der ge-
bundenen Ungebundenheit archaischen Seins sich durchzuringen
zu einer höheren ungebundenen Gebundenheit, welche die Frei-
heit des Einzelnen wahrt, doch sie in Freiwilligkeit dem Staat als
dem Eigentum und dem Ideal eines Jeden unterordnet. Unend-
lich viel freier ist innerhalb der sie umgrenzenden Konturen jede
einzelne der Figuren des Ostgiebels als die so viel reicher bewegten
Kämpfer von Aegina. Doch eine höhere Ordnung beherrscht sie
und bannt sie beinahe in dieselben Fesseln, welche die Archi-
tektur beschränken. Wie eine Fortsetzung der dorischen Säulen-
halle des Baues stehen oben im Giebelfeld die mächtigen Gestalten
des Oinomaos und des Pelops und der Frauen und Männer und
Rosse. Niemals ist eine Architektur in so vollkommener äußerer
Harmonie zwischen Bauglied und Bildschmuck aufgeführt wor-
14 „Reliefs mit faktischem Tiefenmaß“ nennt E. Tross die Giebel-
kompositionen (Studien zur Raumentwicklung in Plastik und Malerei, Gießen
1913, S. 11).