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Pagenstecher, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 1. Abhandlung): Über das landschaftliche Relief bei den Griechen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37678#0020
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Rudolf Pagenstecher:

Leiten gelegen hätte, geopfert worden17. Wie gesagt — der ionische
Tempel hat diesen Gedanken nicht immer mit der gleichen
Schärfe erfaßt. So ist es wohl kein Zufall, daß es ein ionischer
Tempel ist, der vom Ilissos, an dem sich der Versuch, mehr zu
geben, als einzig und allein den Menschen, zu gleicher Zeit bemerk-
lich macht. Wenn auch die Untersuchung Studniczkas18 den
äußeren Grund für die Hinzufügung der Felsensitze durch die
eingehende Erklärung der einzelnen Platten festgestellt hat, so
läßt sich doch nicht leugnen, daß eine strenger sich beschränkende
Kunst, wie die des Theseions, auch ohne solche Hilfsmittel, so
unwahrscheinlich es bei dem Inhalt der Reliefs zunächst erscheint,
auszukommen vermag. Der Meister der Ilissosplatten zieht die
einzelnen Gestalten weiter auseinander, als wir es bisher gewohnt
waren und gewinnt so die Möglichkeit, der Landschaft einen
wenn auch sehr bescheidenen Platz zu sichern.
Der korinthische Stil, zumal wenn nicht ein Tempel zu deko-
rieren war, sondern etwa nur ein Denkmal wie das des Lysikrates,
geht noch weiter19. Faßt der Künstler auch nicht den ganzen Fries zu
einem einheitlichen landschaftlichen Bilde zusammen, wechselt er
vielmehr mit dem Untergrund, der bald das feste Land, bald das
Meer wiedergibt, beliebig ab, so ist doch das Bestreben, der Hand-
lung eine an sich im Sinne der älteren Kunst durchaus nicht un-
bedingt notwendige landschaftliche Staffage hinzuzufügen, deut-
lich; zumal hätten die Bäume, von denen die Satyrn ihre Waffen
brechen, sicherlich fehlen können. Ob die Landschaft auf diesem
Friese das Primäre ist, oder die Auseinanderziehung der Figuren,
die dann erst der Landschaft ihren Platz ermöglichte, wissen wir
nicht; deutlich ist nur, daß durch diese Weiträumigkeit des Bil-
des sofort eine Flut von Luft und Licht in die Darstellung hinein-
bricht, daß die Vorstellung unendlicher Weite und unbegrenzter
Räume hervorgerufen wird, daß diese Verbrecher und ihre Rächer
und der Gott selber nur Mitspieler in einer Handlung sind, die
zum Schauplatz die Außenwelt hat: trotz ihrer Primitivität er-
scheint durch die Auseinanderziehung der menschlichen Figuren
die Landschaft das Wichtigere, welche nur durch einen Zufall
und für einen Augenblick zur Bühne einer schnell vorüberrauschen-
den Handlung wird.
17 Vgl. H. Thiersch, Oest. J. H. XI 1908 S. 51.
18 Arch. Jahrb. XXXI, 1916, S. 169 ff.
Winter, Kunstgeschichte in Bildern, S. 316,1.
 
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