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Pagenstecher, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 1. Abhandlung): Über das landschaftliche Relief bei den Griechen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37678#0040
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32

Rudolf Pagenstecher:

weder Kleinasien noch Alexandrien als die Urheimat
des i dyllischen Reliefs angesehen werden dürfen, daß
dieses Recht vielmehr der Magna Graecia zu ko mmt.
Das Opfer des Eros, das ländliche Opfer, jene
idyllischen Reliefs auf calenischen Schalen, die Hirtin
von Vasto sind die ältesten Proben einer Gattung, die
in den Brunnenreliefs Grimani ihre unerreichte Aus-
bildung gefunden hat.
Allein auf sich gestellt, könnten uns diese drei Proben einer
wie durch sie bewiesen wird ehemals verbreiteten Gattung idylli-
scher Reliefs nicht den Weg zur Erkenntnis ihrer Heimat bahnen.
Aber zu ihnen tritt ein mächtiger Zeuge hinzu, dessen Autorität
unanfechtbar ist: Thaokrit.
In Syrakus geboren, nimmt er die sonnige Küste des ionischen
Golfes und die Abhänge des Ätna zum Schauplatz seiner Schil-
derung. Zwischen Sybaris und Kroton kämpfen seine Hirten um
den Sieg im musischen Wettstreit. Freilich, Theokrit weilte auch
in Alexandrien und hat sein späteres Leben auf Kos verbracht77,
doch „er hat ein lebhaftes Heimatsgefühl und verleugnet seine
Rasse nicht“78. Und wenn man ihn in Abhängigkeit von Kalli-
machos, dem größten Dichter Alexandriens hat bringen wollen,
so besteht doch gerade zwischen beiden Dichtern in der Auffas-
sung der Natur ein entscheidender Unterschied: für Theokrit ist
sie das weite spärlich bewohnte Land, das sich unabsehbar außer-
halb der Stadtmauern erstreckt, für Kallimachos „gibt es nur
künstliche Parks, Dünen statt der Berge, Wasserleitungen statt der
Quellen“79. Und ich meine, obwohl sich literarische Fragen auf
solchem Wege nicht entscheiden lassen: ehe man auf den Gedanken
kam, die Natur in ihrer Imitation durch die Kunst zu suchen,
mußte die Sehnsucht nach der ungekünstelten Natur im Herzen
des Menschen erwacht sein. Für sie spricht Theokrit, Kallimachos
für ihre Befriedigung durch den Park der Großstadt.
Es scheint, daß die Magna Graecia und Sizilien seit alters
eine tiefere Freude an der Landschaft hatten als andere Gegenden
der griechischen Welt, denn die lokrischen Reliefs (s. o. Anm. 35)
zeichnen mit liebevoller Sorgfalt den Baum, auf dem die Tier-
welt ihr Wesen treibt, und es scheint, daß sie sich die Süd-
77 Christ, a. a. O. S. 538ff.
78 Wilamowitz, Die griechische Literatur des Altertums, S. 136.
79 Ebend. S. 138.
 
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