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Rudolf Pagenstecher:
hier, wie bei den anschließenden Reliefbildern nicht selten der
Eindruck entsteht, als ob den Gestalten und Gruppen des 4. Jahr-
hunderts lediglich eine landschaftliche Staffage hinzugefügt sei,
und wo der Meister im Stil besonders auffällig neuert, da stimmt
er mit den Künstlern des Gigantenfrieses so stark überein, daß
wir im kleinen Fries keineswegs einen künstlerischen Fortschritt
über den großen hinaus erblicken können90.
Nur in zwei Dingen unterscheidet er sich von seinen Vorbil-
dern: in der reichlicheren Verwendung der Landschaft und in der
Übereinanderreihung der Figuren.
Das letztere ist zwar auch keine absolute Neuerung, aber erst am
Telephosfries wird in Verbindung mit der Landschaft die Möglich-
keit, mehrere Ebenen zu schaffen ganz ausgenutzt. Das topogra-
phische Relief Torlonia91 brachte bereits ähnlich angeordnete Ge-
stalten. Freilich sind die Felssitze noch ganz einfach und ohne jede
Rücksicht auf die natürliche Gestaltung des Gesteins gebildet. Aber
das Prinzip ist da, und die Nymphenreliefs übersetzen dasselbe
Prinzip in eine weit realistischere Wirklichkeit. Es ist wohl nicht
anders denkbar, als daß hier wirklich die Erfindung Polygnots,
die Figuren auf freiem Terrain übereinander zu verteilen, den An-
stoß zur neuen Anordnung gegeben hat. Im Telephosfries selbst da-
gegen direkte Abhängigkeit von der gleichzeitigen Malerei zu finden,
geht nach dem oben Gesagten nicht an. Er steht vielmehr ganz
innerhalb jener reinplastischen Entwicklung, welche für uns mit
dem Relief Torlonia beginnt, und sich in einigen Nymphenreliefs
ausspricht. Wo das Erfordernis der Hochkomposition vorlag, war
die Reliefplastik dieser Aufgabe, die ja im wesentlichen eine land-
schaftliche war, gewachsen92. Nur wurde sie so selten gestellt,
denn innerhalb der Architektur hatte das Hochbild keinen Platz.
Erst als sich das Relief von der Architektur loslöste und deko-
rativ wurde, fand sich diese Gelegenheit häufiger.
Der Telephosfries ist, auch wenn wir das Archelaosrelief für
älter als ihn halten würden, wie es bis vor kurzem geschah93, nicht
90 Winnefeld, a. a. O. S. 237ff.
91 Zuletzt abgebildet von Studniczka, Arclu Jahrb. XXXI, 1916,
S. 202, Abb. 17.
92 Ob die bekannten Sclüldkompositionen auf griechische Vorbilder
zurückgehen, ist noch nicht entschieden. Die uns vorliegenden Exemplare
sind jedenfalls erst römisch: Sieveking-Busciior, Münchener Jahrbuch
der bildenden Kunst, 1912 II, S. 139, Abb. 20. S. o. Anm. 59.
93 Vgl. Anm. 59.
Rudolf Pagenstecher:
hier, wie bei den anschließenden Reliefbildern nicht selten der
Eindruck entsteht, als ob den Gestalten und Gruppen des 4. Jahr-
hunderts lediglich eine landschaftliche Staffage hinzugefügt sei,
und wo der Meister im Stil besonders auffällig neuert, da stimmt
er mit den Künstlern des Gigantenfrieses so stark überein, daß
wir im kleinen Fries keineswegs einen künstlerischen Fortschritt
über den großen hinaus erblicken können90.
Nur in zwei Dingen unterscheidet er sich von seinen Vorbil-
dern: in der reichlicheren Verwendung der Landschaft und in der
Übereinanderreihung der Figuren.
Das letztere ist zwar auch keine absolute Neuerung, aber erst am
Telephosfries wird in Verbindung mit der Landschaft die Möglich-
keit, mehrere Ebenen zu schaffen ganz ausgenutzt. Das topogra-
phische Relief Torlonia91 brachte bereits ähnlich angeordnete Ge-
stalten. Freilich sind die Felssitze noch ganz einfach und ohne jede
Rücksicht auf die natürliche Gestaltung des Gesteins gebildet. Aber
das Prinzip ist da, und die Nymphenreliefs übersetzen dasselbe
Prinzip in eine weit realistischere Wirklichkeit. Es ist wohl nicht
anders denkbar, als daß hier wirklich die Erfindung Polygnots,
die Figuren auf freiem Terrain übereinander zu verteilen, den An-
stoß zur neuen Anordnung gegeben hat. Im Telephosfries selbst da-
gegen direkte Abhängigkeit von der gleichzeitigen Malerei zu finden,
geht nach dem oben Gesagten nicht an. Er steht vielmehr ganz
innerhalb jener reinplastischen Entwicklung, welche für uns mit
dem Relief Torlonia beginnt, und sich in einigen Nymphenreliefs
ausspricht. Wo das Erfordernis der Hochkomposition vorlag, war
die Reliefplastik dieser Aufgabe, die ja im wesentlichen eine land-
schaftliche war, gewachsen92. Nur wurde sie so selten gestellt,
denn innerhalb der Architektur hatte das Hochbild keinen Platz.
Erst als sich das Relief von der Architektur loslöste und deko-
rativ wurde, fand sich diese Gelegenheit häufiger.
Der Telephosfries ist, auch wenn wir das Archelaosrelief für
älter als ihn halten würden, wie es bis vor kurzem geschah93, nicht
90 Winnefeld, a. a. O. S. 237ff.
91 Zuletzt abgebildet von Studniczka, Arclu Jahrb. XXXI, 1916,
S. 202, Abb. 17.
92 Ob die bekannten Sclüldkompositionen auf griechische Vorbilder
zurückgehen, ist noch nicht entschieden. Die uns vorliegenden Exemplare
sind jedenfalls erst römisch: Sieveking-Busciior, Münchener Jahrbuch
der bildenden Kunst, 1912 II, S. 139, Abb. 20. S. o. Anm. 59.
93 Vgl. Anm. 59.