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H. von Schubert:
Ende von Buch IX wird die letzte dramatische Erkennungs-
szene, zwischenFaustinian und denSeinen, erzählt. Ein neuerTag
bricht mit dem neuen Buche an. Während die wiedervereinigten
Gatten noch ruhen, beraten die Söhne mit Petrus, ob und wie der
Vater dem Christentum zugeführt werden könne. Petrus ist für
absolute Vorsicht und Toleranz: nur keine vorschnelle Bekehrung,
die doch nicht haftet, er soll ein Jahr lang unser Freund und Be-
gleiter sein und von selbst kommen! Aber wenn der Vater nun in
diesem Jahre stirbt? wendet einer der Söhne ein. Gott, der Herz
und Nieren erforscht, beruhigt Petrus, wird prüfen, ob er als Ge-
rechter gelebt hat aus reinem Drange nach Gerechtigkeit, und wird
ihn auch so retten . Denn, die allein um Gottes und seiner Gerechtig-
keit willen gerecht gelebt haben, die werden zur ewigen Ruhe
gelangen und das Himmelreich erlangen. Salus enim non vi adqui-
ritur, sed libertate, nec per hominum gratiam, sed per dei fidem.
Er schlägt doch einen Mittelweg vor: sie wollen ihn erwarten
und sehen, ob er etwas fragt, und dann soll die Disputation weiter-
führen. Faustinian kommt mit der Frage: darf man nachforschen,
wenn man etwas will, oder muß man nach der Weise der Pytha-
goreer schweigen P1 Frage, wenn Du etwas lernen willst, ant-
wortet ihm der Apostel. Und der Greis sagt: Es geht bei den
Philosophen der Griechen eine starke Rede, die besagt, daß nichts
im Menschenleben an sich gut oder schlecht sei; aber was den in
Brauch oder Lebensgewohnheit verstrickten Menschen gut scheint,
das heißen sie entweder schlecht oder gut. In Wahrheit ist auch
der Totschlag nicht schlecht, denn er löst die Seele aus den Fesseln
des Fleisches, ja, sagen sie, auch die gerechten Richter töten die
Sünder; wenn sie wüßten, daß dies schlecht sei, würden es
gerechte Menschen nicht tun. Und der Ehebruch, sagen sie, sei
nicht schlecht, denn wenn der Mann nichts davon erfährt oder
sich nicht darum kümmert, so ist nichts Böses dran. Und auch der
Diebstahl ist nicht schlecht, denn was dem einen fehlt, das nimmt
er von dem anderen fort, der es hat; allerdings er hätte es öffent-
lich und frei nehmen müssen, und, weil er es heimlich tut, wird er
der Rohheit (inhumanitas) gegen den beschuldigt, von dem er es
nimmt. Denn (an sich durfte er es nehmen, weil es gilt:) com-
munis usus omnium, quae sunt in mundo — und nun folgen die
uns aus Ps.-Isidor bekannten Sätze bis habenda esse comunia (ob.
1 Vgl. dazu Diog. Laert. VIII, 1, 8 (10), Jamblichus, vita Pyth. 72. 163
u. a. a. O. Philostratus, Apoll, v. Tyana I, 1.
H. von Schubert:
Ende von Buch IX wird die letzte dramatische Erkennungs-
szene, zwischenFaustinian und denSeinen, erzählt. Ein neuerTag
bricht mit dem neuen Buche an. Während die wiedervereinigten
Gatten noch ruhen, beraten die Söhne mit Petrus, ob und wie der
Vater dem Christentum zugeführt werden könne. Petrus ist für
absolute Vorsicht und Toleranz: nur keine vorschnelle Bekehrung,
die doch nicht haftet, er soll ein Jahr lang unser Freund und Be-
gleiter sein und von selbst kommen! Aber wenn der Vater nun in
diesem Jahre stirbt? wendet einer der Söhne ein. Gott, der Herz
und Nieren erforscht, beruhigt Petrus, wird prüfen, ob er als Ge-
rechter gelebt hat aus reinem Drange nach Gerechtigkeit, und wird
ihn auch so retten . Denn, die allein um Gottes und seiner Gerechtig-
keit willen gerecht gelebt haben, die werden zur ewigen Ruhe
gelangen und das Himmelreich erlangen. Salus enim non vi adqui-
ritur, sed libertate, nec per hominum gratiam, sed per dei fidem.
Er schlägt doch einen Mittelweg vor: sie wollen ihn erwarten
und sehen, ob er etwas fragt, und dann soll die Disputation weiter-
führen. Faustinian kommt mit der Frage: darf man nachforschen,
wenn man etwas will, oder muß man nach der Weise der Pytha-
goreer schweigen P1 Frage, wenn Du etwas lernen willst, ant-
wortet ihm der Apostel. Und der Greis sagt: Es geht bei den
Philosophen der Griechen eine starke Rede, die besagt, daß nichts
im Menschenleben an sich gut oder schlecht sei; aber was den in
Brauch oder Lebensgewohnheit verstrickten Menschen gut scheint,
das heißen sie entweder schlecht oder gut. In Wahrheit ist auch
der Totschlag nicht schlecht, denn er löst die Seele aus den Fesseln
des Fleisches, ja, sagen sie, auch die gerechten Richter töten die
Sünder; wenn sie wüßten, daß dies schlecht sei, würden es
gerechte Menschen nicht tun. Und der Ehebruch, sagen sie, sei
nicht schlecht, denn wenn der Mann nichts davon erfährt oder
sich nicht darum kümmert, so ist nichts Böses dran. Und auch der
Diebstahl ist nicht schlecht, denn was dem einen fehlt, das nimmt
er von dem anderen fort, der es hat; allerdings er hätte es öffent-
lich und frei nehmen müssen, und, weil er es heimlich tut, wird er
der Rohheit (inhumanitas) gegen den beschuldigt, von dem er es
nimmt. Denn (an sich durfte er es nehmen, weil es gilt:) com-
munis usus omnium, quae sunt in mundo — und nun folgen die
uns aus Ps.-Isidor bekannten Sätze bis habenda esse comunia (ob.
1 Vgl. dazu Diog. Laert. VIII, 1, 8 (10), Jamblichus, vita Pyth. 72. 163
u. a. a. O. Philostratus, Apoll, v. Tyana I, 1.