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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 11. Abhandlung): Der Kommunismus der Wiedertaeufer in Muenster und seine Quellen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37688#0039
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H. von Schubert:

und wo Idealzeichnung, wo urchristlicb.es und wo griechisch-
philosophisches Erbgut zu finden ist. Durch das Letztere aber
schaut uns das Antlitz Platos an, für den der Staat ,,der beste“
ist, „der dem Einzelmenschen am nächsten kommt“ (Rep. V,
462G), dem in sich einigen Normalmenschen.
Ist diese Vermutung richtig, so würde sich auch diese „kom-
munistische“ Gedankengruppe, die dem jungen Christentum mit
auf den Weg gegeben und von einer geradezu ungeheuren Bedeu-
tung wurde, bereits im Ursprung als eine Mischung christlicher und
griechischer Tradition erweisen, so wenig damit der Urgemeinde
enthusiastischeLiebesäußerungen abgesprochen werden sollen. Wenn
nicht als Vermittler dieser Anschauungen, als Veranlassung zu ihrer
Aufnahme bei „Lukas“ wird man doch den jüdischen „Orden“
der Essener heranziehen dürfen, die eine strenge Gütergemeinschaft
beobachteten und seit Zeller von Schürer1 und anderen mit
den Pythagoreern zusammengebracht werden. Es ist in der Tat
schwer zu denken, daß sich die urchristlichen Traditionen von der
höchst auffallenden Erscheinung der 4000 Seelen starken Essener
nicht berührt zeigen sollten, und man wird solche Berührung
am ehesten erwarten an einer Stelle, da der jerusalemische Sonder-
traditionen nutzende, für das Armutsproblem besonders interes-
sierte Verfasser des 3. Evangeliums und der Apostelgeschichte sich
daran gegeben hat, ein Idealbild der Urzeit zu skizzieren, von
dem er selbst eine lebendige Anschauung nicht mehr besaß. Er
war ein Zeitgenosse des Josephus, kannte ihn2 und wird von seinem
erhabenen Gegenstand nichts Geringeres haben anssagen wollen,
als Josephus von den Essenern.
in Act. 4, 32 ff. um eine Idealschilderung im platonischen Stil,
um ein Plato ni cum in diesem Sinn handelt, das wenigstens scheint
» mir unbestreitbar, und darauf kommt es schließlich an. — Vgl. auch das
„stoische Begleitmotiv“ in denselben Act. c. 17 in Nordens Agnostos
Theos S. 13 ff. Die Frage kann hier nicht erschöpfend behandelt werden.
1 Joseph, bell. Jud. II, 8, 3f. 9. Zeller, Phil. d. Gr. III, 23, 277ff. u.
Zeitschr. f. wiss. Theo!., 1899, S. 195ff. E. Schürer, Gesch. d. jüd. Volkes im
Zeitalter Jesu Christi3 II, 583 (wobei in der Aufzählung der gemeinsamen
Züge sonderbarer Weise die Gütergemeinschaft sogar noch fehlt, ebenso wie
bei Bousset, Die Religion des Judent., 1903, der S. 435 die Beziehung zu
den „PjThagoreern“ ablehnt, deren Einfluß aber m. E. unterschätzt). Wir
wissen nicht, ob bei ihnen eine vita des Pythagoras gelesen wurde. Aber
auch, wenn „Lukas“ die Stelle anderswoher schöpfte oder aus Plato selbst
frei komponierte, konnten ihm die Essener Veranlassung zu seiner Zeich-
nung geben.
2 Wenigstens die Antiquitates, vgl. Act. 5, 36f. zu Antiq. XX, 5, Iff.
und IIoltzmann, Handkomm. I2, 343 (auch 41).
 
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