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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 11. Abhandlung): Der Kommunismus der Wiedertaeufer in Muenster und seine Quellen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37688#0045
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H. von Schubert:

beider Standpunkte, die nicht erst dem Mittelalter eigentümlich
ist und auch ihre Keime nicht erst bei den Vätern, bei Ambrosius,
Augustin, Gregor hat1, sondern auf Aristoteles zurückgeht: der
Besitz der Sache und also auch die Sorge dafür muß ausschließ-
lich Einem zugeteilt sein; bei dem Gebrauch aber wird die
freiwillige Tugend der Bürger oft nach dem Sprichwort handeln
müssen: „Unter Freunden ist alles gemeinsam.“2 Das ist eine
klare Unterscheidung von moralischen und juristischen Gesichts-
punkten.
Die Gefahr blieb trotzdem bestehen, daß das höhere Recht-
eben als „Recht“ zum Versuch der Realisierung drängte, allen
Mächten der Wirklichkeit zum Trotz.
b) Sie wuchs, je mehr mit dem Fortschritt des Mittelalters
sich die aristokratischen Grundelemente der kirchlich-hierarchischen
Gesamtanschauung verschoben oder lockerten und sich zugleich
das Eindringen von Fremdelementen verstärkte. Es ist unmöglich,
mehr als Striche zu geben.
1. Die Auffassung, daß die wahre Nachfolge der Apostel und
die Verwirklichung der an sie und ihre ersten Jünger gerichteten
Forderungen nur einer kleinen Auslese gelte, schwand. Seit den
großen Ketzerbewegungen des 12. Jahrhunderts und ihren Ver-
kirchlichungen in den Bettelordenstiftungen des 13. dringt das
apostolische Armutsideal immer tiefer ins Volk und nahmen die
halbmönchischen Formen rapid zu. Wirtschaftliche und ethische
Gründe förderten bei vielen den frommen Wunsch nach einem
Leben in apostolischer Schlichtheit bei vollem Gemeinbesitz. Es
entstand eine weitverzweigte Brüderschaft „vom gemeinsamen
Leben“, die sich an das Mönchtum nur anlehnte, in ihren Kreisen
eine devotio moderna, die eine wahre imitatio Christi auch Laien
erschloß. Freilich blieben es immer einzelne kleine Kreise, aber
die Haltung gegenüber dem Ideal der Vergangenheit verschob sich
doch zugunsten von Gegenwartsforderungen. Soweit der hierar-
chische Rahmen schon vor der Reformation zerbrach oder zurück-
trat, konnte sich der Gedanke einstellen, ganze „evangelische"
1 Carlyle, S. 139ff.
2 Pol. II, 2 in der Kritik des platonischen Staates als Vereinigung der
beiden Besitzformen, also des rein sozialen und des rein liberalen Gedankens.
Damit erscheint Aristoteles weit mehr als Plato als Vorläufer einer gesunden
christlichen Sozialethik. Vgl. dazu auch Isokrates, Areopagitikos 35 u. unten
Erasmus.
 
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