Sitzungsberichte der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Der Kommunismus der Wiedertäufer in Münster und seine Quellen. 49
stische Kunst, ein Gotterleiden, Gelassenheit. Passivität war ihr
Stichwort, und die Geschichtsbetrachtung kann auch Resignation
sein. Die Apokalyptik aber brachte als das Neue die
Aktivität hinzu und fiel doch nicht aus dem Reiche des
Ideals: diese Vereinigung war das Geheimnis ihrer Wirkung. Der
schwärmerische Glaube an die Möglichkeit, ja Notwendigkeit der
Verwirklichung des Ideals in einer Zukunft, die so dicht vor den
Menschen lag, daß sie zum Handeln zwang, war ihr Wesen. Auch
Plato hatte wenigstens Stunden solchen Glaubens gehabt und von
seinem besten Staate, in dem das xoivoc ra tcov cptXcov gilt, gemeint :
tout’ oöv zixz ttou vuv egtiv eiV egtsl -ote;1, und die populäre
Anschauung der Alten wußte nicht nur von einem goldenen Zeit-
alter, sondern auch einer Insel der Seligen und elysischen Gefilden.
Einen viel kräftigeren Nährboden gab doch das Christentum als
die Religion der starken Hoffnung, des zukünftigen Reichs, des
kommenden oder richtiger wiederkommenden Messias für die Lehre
von den letzten Dingen und ihre sinnliche Ausmalung. Jüdische,
orientalische, hellenistische Vorstellungen lieferten das Material.
Eines dieser Bücher voll großartigster Phantasie, die Offenbarung
des Johannes, war unter die heiligen Bücher aufgenommen, ein
ständiger Anreiz für Abertausende in der Folge, die geheimnisvollen
Bilder zu deuten, zu enthüllen. Mit tiefer Erschütterung lasen die
Geschlechter der Christen, wie die Zornesschale über das sünd-
hafte große Babel ausgegossen und die Staaten der Heiden dahin-
fallen würden, wie die Posaunen ertönen, die apokalyptischen Reiter
über die Erde jagen und schließlich der Drache, die alte Schlange,
für 1000 Jahre gefesselt würden, die aber, welche das Zeichen des
Tieres nicht an Stirn und Händen trügen, herrschen sollten mit
Christo: ,,dies ist die erste Auferstehung; selig und heilig, der Teil
daran hat, über die hat der zweite Tod keine Gewalt, sondern sie
werden Priester Gottes und Christi sein und werden herrschen mit
ihm 1000 Jahre“ (Äpok. 20, 3ff.). Und dann kam vom Himmel
das neue Jerusalem von unaussprechlicher Herrlichkeit, da keine
Träne und kein Tod, kein Geschrei und kein Schmerz sein wird
und das Wort des Herrn gilt: „Siehe ich mache alles neu“ (21, 41).
Die Apokalyptik und der Chiliasmus, die Lehre vom 1000-
jährigen. Reich als Einleitung des Endes, war nie ausgestorben in
der Christenheit, aber sie war zurückgedrängt durch die Tatsache
der gegenwärtigen Weltherrschaft im Namen Christi durch Papst
1 Leg. V, 739.

Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, philos.-hist. Kl. 1919. 11. Abh.

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