Der Kommunismus der Wiedertäufer in Münster und seine Quellen. 55
und die Berechnung darauf nicht fehlten1 und daß die Vielweiberei
keineswegs als eine harmlose Kriegsmaßnahme gelten kann2,
sondern daß bei ihr die Sinnlichkeit des 26jährigen schönen
,,Königs“ so gut einen Exponenten höchst ärgerlicher öffentlicher
Zustände gebildet hat, wie in anderen minder geistlichen Staaten
alter und neuer Zeit. Es ist aber allerdings einer der grimmigen
Scherze der Weltgeschichte, daß die Täufer sich selbst für Weiter-
1 Vgl. unter den vielen von Münster eingegangenen Werbeschreiben
gerade das von Ivautsicy S. 286 angeführte: „Die Ärmsten, die bei uns sind
und die hier vormals verachtet waren als die Bettler, die gehen nun so köst-
lich gekleidet wie die Höchsten und Vornehmsten, die bei Euch oder bei uns
zu sein pflegen. Und es sind die Armen also reich durch Gottes Gnaden
geworden wie die Bürgermeister und die Reichsten in der Stadt“, dazu Knipper-
dollings geflügeltes Wort: „Ein Got, ein pot, ein ei, ein Koicke“ bei Gresbeck
S. 164, der hinzufügt: „Nu, ein Gott ist. Ehr it hedde geworden duer diegantze
weit ein pot und ein ei und ein Koke, so wolden haben viel luede doit ge-
schmachtet in der werft, eher die gantz werlt so eindrechtigh hedde geworden.
2 Kautsky S. 294ff., der die Ausgabe Kerssenbrochs von Detmer (v.
1899, während seine Neubearbeitung v. 1909 ist!) nicht kennt, sondern nur
die deutsche Übersetzung von 1771, teilt deren Fehler, wie beim 27. der
Artikel v. 2. I. 1535 : quaelibet femina cum legitimus non sit maritus — dagegen:
Eine jede unverheiratete Frau oder die ihren ordentlichen Mann nicht hat.
Nach Gresbeck S. 68f. hatten die Frauen sich Schirmherrn (tutores seu de-
fensores) zu wählen, die zu alt waren, noch Männer zu nehmen. Das ist
die wahlfreie ökonomische Ehe, neben der bei Kautsky die geschlechtliche
Vielehe fast verschwindet. Die Anklage und Verurteilung der Barbara
Butendickbei Iverss., S. 688 ff., die ihren Mann schalt, weil er auch mit seinen
anderen Frauen und Mitschwestern fleischlich verkehrte, dürfte gerade be-
sagen, daß man in dem Sonderanspruch der Frau Empörung gegen die scharf
betonte Herrengewalt des Mannes sah. Vor allem war das Motiv, alle Frauen
bei der rechten Lehre zu erhalten, maßgebend, s. das 2. Orakel des Königs,
Kerss. S. 771, Gresbeck a. a. O. Wer eine so lückenhafte Materialbenutzung
— die Geständnisse werden kaum berücksichtigt — betreibt und das Benutzte
so einseitig auszieht wie Kautsky, der die 16 namentlich genannten Frauen
des „Königs“ (Kerss. S. 657 ff.) und die Fülle von Einzelheiten in den Berichten
und Aussagen der Mitlebenden und Wiedertäufer selbst verschweigt, dem
kann es gewiß gelingen selbst bei diesem Punkte ein Bild vorzutäuschen,
wonach gerade „Nüchternheit und Besonnenheit hervorstechende Charakter-
züge der Täufer bildeten“; er sollte es aber unterlassen hohnvoll von der
Parteizinne herab die parteiische Verzerrung der bisherigen Darstellungen
zu schelten. Die Münsterschen selbst begründeten ihre Vielweiberei mit dem
Gebot Gen. 1,22: „Seid fruchtbar und mehret euch“ (s. nam. Restitution
S. 75 ff.), daneben mit dem Vorbild der Patriarchen (ib. S. 84, Gresbeck S. 59
u. Kerss. S.619). Dazukam, daß sie die Ehe mit einem Ungläubigen für ungültig
erklärten, was zu nicht wenigen Doppelehen auch der Münsterschen Frauen
und die Berechnung darauf nicht fehlten1 und daß die Vielweiberei
keineswegs als eine harmlose Kriegsmaßnahme gelten kann2,
sondern daß bei ihr die Sinnlichkeit des 26jährigen schönen
,,Königs“ so gut einen Exponenten höchst ärgerlicher öffentlicher
Zustände gebildet hat, wie in anderen minder geistlichen Staaten
alter und neuer Zeit. Es ist aber allerdings einer der grimmigen
Scherze der Weltgeschichte, daß die Täufer sich selbst für Weiter-
1 Vgl. unter den vielen von Münster eingegangenen Werbeschreiben
gerade das von Ivautsicy S. 286 angeführte: „Die Ärmsten, die bei uns sind
und die hier vormals verachtet waren als die Bettler, die gehen nun so köst-
lich gekleidet wie die Höchsten und Vornehmsten, die bei Euch oder bei uns
zu sein pflegen. Und es sind die Armen also reich durch Gottes Gnaden
geworden wie die Bürgermeister und die Reichsten in der Stadt“, dazu Knipper-
dollings geflügeltes Wort: „Ein Got, ein pot, ein ei, ein Koicke“ bei Gresbeck
S. 164, der hinzufügt: „Nu, ein Gott ist. Ehr it hedde geworden duer diegantze
weit ein pot und ein ei und ein Koke, so wolden haben viel luede doit ge-
schmachtet in der werft, eher die gantz werlt so eindrechtigh hedde geworden.
2 Kautsky S. 294ff., der die Ausgabe Kerssenbrochs von Detmer (v.
1899, während seine Neubearbeitung v. 1909 ist!) nicht kennt, sondern nur
die deutsche Übersetzung von 1771, teilt deren Fehler, wie beim 27. der
Artikel v. 2. I. 1535 : quaelibet femina cum legitimus non sit maritus — dagegen:
Eine jede unverheiratete Frau oder die ihren ordentlichen Mann nicht hat.
Nach Gresbeck S. 68f. hatten die Frauen sich Schirmherrn (tutores seu de-
fensores) zu wählen, die zu alt waren, noch Männer zu nehmen. Das ist
die wahlfreie ökonomische Ehe, neben der bei Kautsky die geschlechtliche
Vielehe fast verschwindet. Die Anklage und Verurteilung der Barbara
Butendickbei Iverss., S. 688 ff., die ihren Mann schalt, weil er auch mit seinen
anderen Frauen und Mitschwestern fleischlich verkehrte, dürfte gerade be-
sagen, daß man in dem Sonderanspruch der Frau Empörung gegen die scharf
betonte Herrengewalt des Mannes sah. Vor allem war das Motiv, alle Frauen
bei der rechten Lehre zu erhalten, maßgebend, s. das 2. Orakel des Königs,
Kerss. S. 771, Gresbeck a. a. O. Wer eine so lückenhafte Materialbenutzung
— die Geständnisse werden kaum berücksichtigt — betreibt und das Benutzte
so einseitig auszieht wie Kautsky, der die 16 namentlich genannten Frauen
des „Königs“ (Kerss. S. 657 ff.) und die Fülle von Einzelheiten in den Berichten
und Aussagen der Mitlebenden und Wiedertäufer selbst verschweigt, dem
kann es gewiß gelingen selbst bei diesem Punkte ein Bild vorzutäuschen,
wonach gerade „Nüchternheit und Besonnenheit hervorstechende Charakter-
züge der Täufer bildeten“; er sollte es aber unterlassen hohnvoll von der
Parteizinne herab die parteiische Verzerrung der bisherigen Darstellungen
zu schelten. Die Münsterschen selbst begründeten ihre Vielweiberei mit dem
Gebot Gen. 1,22: „Seid fruchtbar und mehret euch“ (s. nam. Restitution
S. 75 ff.), daneben mit dem Vorbild der Patriarchen (ib. S. 84, Gresbeck S. 59
u. Kerss. S.619). Dazukam, daß sie die Ehe mit einem Ungläubigen für ungültig
erklärten, was zu nicht wenigen Doppelehen auch der Münsterschen Frauen