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H. von Schubert:
gehendes hätten berufen können auf das Platonicum im Brief des
ersten „Papstes“ Clemens „m omnibus sunt autem sine dubio et con-
iuges— das eben auch mit der ganzen Gedankenmasse aus einer
fremden Welt rezipiert war und trotz vielfachen Anstoßes erst all-
mählich Ende des 16. Jahrhunderts durch die correctores Romani aus
demDecretum Gratiani verwiesen wurde. Wenn auch die Münster-
schen Schwärmer selbst weit und nicht ohne Grund von der Hand
wiesen, daß ihre Eheauffassung „Platonisch oder Nickelamchs
(Nikolaitisch)<£seP, wenn auch die Vielweiberei nicht einfach Ge-
schlechtsgemeinschaft ist: j eder Kommunismus hat doch eine eheauf-
lösende Kraft, und eine feine ideengeschichtliche Linie läuft doch
von dem Praktiker Jan van Leyden zurück zu dem Theoretiker
Plato — 2000 Jahre vorher.
Es war nicht nur die Folge der Schonungslosigkeit, mit der
die siegreichen Fürsten die Schwärmerei im Blut erstickten, wenn
der kommunistische Gedanke für lange den Kredit verlor: die Ent-
artung und Bodenlosigkeit hatte zu offen am Tage gelegen, und
Nachzügler wie die Erscheinung des Johann Wilhelmson in und
bei Wesel* 1 2 vertieften den Eindruck. Weder die isolierten prak-
tischen Versuche in Mähren und später in Amerika noch die
Theorien des 16. und 17. Jahrhunderts, die Staatsromane des
Morus und Campanella, zweier Rom-Anhänger, und die Bewegung
geführt haben wird (Gresbeck S. 61. 71). Vgl. schon die geschlechtlichen
Irrungen Hetzers an seinem Lebensausgang und die allgemeine Tatsache, daß
man schon bei den Straßburger Separatistenprozessen auf Weibergemeinschaft
inquirierte, Gerbert S. 94. Polygamie ist nur halber Geschlechtskommunis-
mus, aber das Ergebnis ist auch hier Zerstörung der Familie und Entwürdi-
gung der Frau: „So hebben se irt irste fraw dairtho getwungen, dat sie mosten
gain und hollen den mann ein ander fraw. Do heft der duvel gelacht“. „Mer
up dat leste namen sie die frawen, war sie die kregen konden, sie worden
fruchtbar oft nicht, gliche voel, frowen wolden sie hebben. Up dat leste so
namen sie kleine medckens, die noch nicht menber en weren. So schliepen
sie bei der einer frowen für und bei der andern nah. Datselve deden sie al
mit einen hilligen schein, up dat sie wolden die werlt vermeren“ (Gresbeck
S. 60, 61/62).
1 Bekentones des gelobens und lebens der gemein Cristi zu Munster,
Geschichtsquellen des Bist. M. II, 439.
2 Teschenmachers Ann. eccl. S. 407ff., 414ff., 447ff. s. Bouterwek
S. 313ff.: „Stehlen und Nehmen sei keine Sünde, sondern vielmehr ein Recht
in diesem Gottesreiche, alle Güter der Erde seien Christi Eigentum, also auch
ihres usw.“.
H. von Schubert:
gehendes hätten berufen können auf das Platonicum im Brief des
ersten „Papstes“ Clemens „m omnibus sunt autem sine dubio et con-
iuges— das eben auch mit der ganzen Gedankenmasse aus einer
fremden Welt rezipiert war und trotz vielfachen Anstoßes erst all-
mählich Ende des 16. Jahrhunderts durch die correctores Romani aus
demDecretum Gratiani verwiesen wurde. Wenn auch die Münster-
schen Schwärmer selbst weit und nicht ohne Grund von der Hand
wiesen, daß ihre Eheauffassung „Platonisch oder Nickelamchs
(Nikolaitisch)<£seP, wenn auch die Vielweiberei nicht einfach Ge-
schlechtsgemeinschaft ist: j eder Kommunismus hat doch eine eheauf-
lösende Kraft, und eine feine ideengeschichtliche Linie läuft doch
von dem Praktiker Jan van Leyden zurück zu dem Theoretiker
Plato — 2000 Jahre vorher.
Es war nicht nur die Folge der Schonungslosigkeit, mit der
die siegreichen Fürsten die Schwärmerei im Blut erstickten, wenn
der kommunistische Gedanke für lange den Kredit verlor: die Ent-
artung und Bodenlosigkeit hatte zu offen am Tage gelegen, und
Nachzügler wie die Erscheinung des Johann Wilhelmson in und
bei Wesel* 1 2 vertieften den Eindruck. Weder die isolierten prak-
tischen Versuche in Mähren und später in Amerika noch die
Theorien des 16. und 17. Jahrhunderts, die Staatsromane des
Morus und Campanella, zweier Rom-Anhänger, und die Bewegung
geführt haben wird (Gresbeck S. 61. 71). Vgl. schon die geschlechtlichen
Irrungen Hetzers an seinem Lebensausgang und die allgemeine Tatsache, daß
man schon bei den Straßburger Separatistenprozessen auf Weibergemeinschaft
inquirierte, Gerbert S. 94. Polygamie ist nur halber Geschlechtskommunis-
mus, aber das Ergebnis ist auch hier Zerstörung der Familie und Entwürdi-
gung der Frau: „So hebben se irt irste fraw dairtho getwungen, dat sie mosten
gain und hollen den mann ein ander fraw. Do heft der duvel gelacht“. „Mer
up dat leste namen sie die frawen, war sie die kregen konden, sie worden
fruchtbar oft nicht, gliche voel, frowen wolden sie hebben. Up dat leste so
namen sie kleine medckens, die noch nicht menber en weren. So schliepen
sie bei der einer frowen für und bei der andern nah. Datselve deden sie al
mit einen hilligen schein, up dat sie wolden die werlt vermeren“ (Gresbeck
S. 60, 61/62).
1 Bekentones des gelobens und lebens der gemein Cristi zu Munster,
Geschichtsquellen des Bist. M. II, 439.
2 Teschenmachers Ann. eccl. S. 407ff., 414ff., 447ff. s. Bouterwek
S. 313ff.: „Stehlen und Nehmen sei keine Sünde, sondern vielmehr ein Recht
in diesem Gottesreiche, alle Güter der Erde seien Christi Eigentum, also auch
ihres usw.“.