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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 11. Abhandlung): Der Kommunismus der Wiedertaeufer in Muenster und seine Quellen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37688#0058
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Der Kommunismus der Wiedertäufer in Münster und seine Quellen. 57

der Leveller, die umgekehrt die kirchlich-politische Revolution des
enthusiastischen Independententums in England begleitete, dabei
aber merklich einen weltlicheren Geist zeigte, fallen fürs Ganze
ins Gewicht. Erst das 19. Jahrhundert hob die kommunistische
Idee wieder empor, nun aber ohne die religiöse Begründung und
Gestaltung, ja in ausgesprochenem Gegensatz zur Religion. Nach
Motiven und Umfang des Begriffs ist der heutige marxistische
Kommunismus etwas anderes als der des 16. Jahrhunderts. Aber auch
heute erfüllt die Idee ihre Gläubigen mit einer Schwarmgeisterei
von religiöser Glut, und die unerträgliche Spannung zwischen dem
glänzenden Ideal und der gemeinen Wirklichkeit löst auch heute
dieselben sozialpsychologischen Wirkungen aus, das Zerrbild einer
Vermischung von höchster Menschenliebe und rohestem Menschen-
haß, wie zur Zeit des Münsterschen Aufruhrs. Wichtiger noch
ist die Feststellung der Tatsache, daß solange der Satz von der
wesentlichen auf der Gattungseinheit ruhenden Igottjc; der
Menschen1 und die Ableitung des Sbcamv daraus, des aequum
aus der aequalitas2 und die Auffassung des ersteren als
eines wirklichen, nur höheren, göttlich-natürlichen „Rechtes“
nicht revidiert ist, aus dem gleichen Grunde immer die gleichen
Folgen hervorgehen werden. Es ist darum außerordentlich lehr-
reich und verdient heute in Erinnerung gerufen zu werden, daß
der kluge Papst Leo XIII. nicht nur in der Encyklika Diuturnum
1 Zugrunde liegt der dogmatische Rationalismus des Plato. Die Kritik
des Aristoteles trifft in der Tat den Kernpunkt, wenn er als den Hauptfehler
im platonischen Staat die Überspannung des Einheitsbegriffs durch die falsche
Fassung des Gleichheitsbegriffs, die ungenügende Bewertung der natür-
lichen und bleibenden Verschiedenheit der Menschen, damit der psycholo-
gischen Faktoren ansieht, Politik II, 1: oü govov 8s ex n'keiovcov äv-üpcbucov ec-tlv tj
~oXip, dcÄAa xcd sE, sl'Ssi SiacpspovTcov • oü yäo ylvexaL et ojxohov. Die ob. S.
37, A. 1 angeführte Stelle in Platos Rep. 462 C zeigt mit aller Deutlichkeit die
Herkunft des platonischen Kommunismus aus der verkehrten Konstruktion
des Idealstaats nach Analogie des generell gefaßten Einzelmenschen. Seine
ganze Darlegung erweist Aristoteles als den besseren Psychologen (man lese
allein, was er über den Ärger in Reisegesellschaften und an den Dienst-
boten sagt), eben weil er vom Einzelnen zum Allgemeinen fortschreitet. Indem
die Kirche auch auf dem Gebiete der Verfassung und des Rechtes Plato folgte,
gab sie auch hier der physisch-generellen Betrachtungsweise das Übergewicht
über die sittlich-individuelle. Es ist die genaue Parallele zu der Entwicklung
auf dem Gebiet des Dogmas und des Kultus.
2 Wenn auch der Zusammenhang ein anderer ist, als das Zitat bei
Pöhlmann2 II, 290 ahnen läßt, die Stelle Leg. VII, 816 ist ein voller Ausdruck
für die Begeisterung und die Energie, mit der Plato dem Gedanken nachhing.
 
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