Metadaten

Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0054
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
54

E. Frh. v. Künssberg:

liang“. Darauf fragt man ihn: „Na wem is din Verlang?“ Dann
nennt er einen Mitspieler, der ihn mit einem Kuß vom Galgen erlösen
muß. Dieser kommt dann selbst an den Galgen und muß wieder
erlöst werden. Handelmann1 bringt es ansprechenderweise in
Verbindung mit der Begnadigung armer Sünder, den eine Jungfrau
zur Ehe begehrte2; ebenso möchte er andere Pfänderlösungen
erklären wie „Stehen unter einem Balken (Galgen), Stehen vor
einem blanken Schwert, Stehen auf einem heißen Stein“. Es braucht
freilich nicht bloß das Gnadebitten mit nachfolgender Ehe gemeint
zu sein, wenn auch dies begreiflicherweise für die Phantasie des
Volkes ein besonders anziehender Stoff war. Von Fällen, wo Kinder
(oder Hirten) tatsächlich Hängens gespielt, erzählt uns dasMärchen3.
§ 85. Das Spießrutenlaufen4 der Landsknechte lebt noch im Kinder-
spiel, ebenso* der Kak (Pranger)5. Aus zwei Ziegelsteinen richten
1 Volks- und Kinderspielein Schleswig-Holstein2, S. 47f.
Galgen lesken (am Galgen leisten) heißt ein westfälisches Dieb- und
Fangespiel. Woeste, Jahrb. f. niedere!. Spracht. 3 (1877), 104.
2 Vgl. Schue, Das Gnadebitten in Recht, Sage, Dichtung und Kunst.
Ztschr. d. Aachener Geschichtsvereins, 40 (1918), 143ff. In dem Spiele
„Hansje siokken“, bei dem die Kinder im Gänsemarsch, den Rock des Vorder-
manns angefaßt, dahinlaufen, wollte Boekenoogen (1893) eine Erinnerung
an altes Recht sehen. Aus der Stadt Ausgewiesene konnten beim ersten Ein-
ritt des Kaisers, des Stadtherrn, des neuen Bischofs wieder in die Stadt, wenn
sie sich an seinem Kleid oder an am Schwanz seines Pferdes festhielten. Vgl.
Schue S. 188ff. Mit Recht bezweifelt aber Drost, Nederl. Kinderspel, S. 27f.
diese Deutung.
3 Grimm, Hängens spielen, Kl. Sehr. 7, 259f. Köhler, Kl. Sehr. 1, 210.
585. Schlosser, Sage vom Galgenmännlein 1912, S. 121.
i Meyer, DVk. 125. Schläger, ZVk. 27 (1917), 118. „Spitzruten“
Handelmann, Volks- und Kinderspiele aus Schleswig Holstein2, 43f., wo auch
Liedchen dazu. Wer von den Kindern den Verurteilten nicht schlägt oder
nicht trifft, muß selbst Spießruten laufen. Rochholz, Alameanisches Kinder-
lied, S. 402. In der Schweiz hieß es „durch die Mütsche,gehen“ oder „durch
den Knütteliswald“ ebd. 439, 441.
In manchen Spielen müssen die Besiegten Gassenlaufen. Woeste,
Kinderspiele in Südwestfalen, Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3 (1877), 104ff. Am
Niederrhein heißt die Klopfgasse ‘Spitzloch’. Caro ebd. 32 (1906), 70.
5 Meyer, DVk. 127. Böhme, Kinderlied, 620. Kück-Sohnrey 292.
Drost, NI. Kinderspel, 52ff. Der Ruf „Stabaus!“ der im Kinderlied des
Sommertages, bei der Vertreibung des Winters, gebräuchlich ist, wurde in
Beziehung gesetzt zur Strafe des Ausstäupens. Vgl. Becker, HessBIVk. 11
(1912), 33. Das ist irrig. Richtigerweise ist darin eine Aufforderung zum Wan-
dern zu sehen. Vgl. v. Amira, Der Stab in der germanischen Rechtssymbolik,
1909, S. 4.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften