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Boll, Franz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 8. Abhandlung): Vita contemplativa: Festrede zum zehnjährigen Stiftungsfeste der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Stiftung Heinrich Lanz — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37775#0003
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Hochansehnliche Versammlung!
Die Akademie steht am ersten Meilenstein eines Weges, dessen
weiterer Verlauf sich in ungewisse Ferne verliert, so fest einem jeden
von uns das Ziel vor Augen stehen mag, das er sich und seiner
Wissenschaft gesteckt hat. An einem solchen Punkte fühlen wir
uns zu kurzer Rast und Rechenschaft über unser Tun aufgefordert.
Was wir bisher zu leisten vermochten, hat unser geschäftsführender
Herr Sekretär in seinem Bericht Ihnen und uns selbst dargelegt.
Mir bitte ich zu gestatten, vom Wesen unseres Forscherlebens
einiges hinzuzufügen. Wenn ich dabei aus den Anschauungen der
griechischen Welt spreche, der meine Studien vor allem zugewandt
sind, so bedarf das wohl nicht erst der Rechtfertigung durch den
geltenden Brauch. Unsere Körperschaft trägt auf ihren Schriften
als Symbol den Kopf der jugendlichen Athena in Frankfurt, deren
Urbild der griechische Bildhauer Myron geschaffen hat; und wenn
sie sich Akademie nennt, so führt der Name schon zurück zu einer
der heiligsten Stätten der Menschheit, zu Platons Stiftung im
Haine des Akademos vor den Toren von Athen, wo zum ersten
Male in der Geschichte die stille Arbeit des Denkers und Forschers,
die Vita contemplativa, einen festen Zufluchtsort gewann und durch
alle Stürme von neun Jahrhunderten behielt.
Von Wesen und Sonderart des Forschers und Denkers nach
griechischer Auffassung also möchte ich in dieser Stunde sprechen:
von jener Führung des Lebens, die griechisch βίος θεωρητικός
heißt; in das Lateinische ist Wort und Sache mit aller höheren
Kultur nur übertragen. Auch in Griechenland war diese Form
der Lebensführung keineswegs von Anbeginn der uns zugänglichen
Geschichte gegeben: und sie hat sich auch nicht ohne Widerstand
durchgesetzt. Welchen Sinn man in Griechenland mit dem Worte
vom βίος θεωρητικός verband, wie diese neue Art des Menschen-
tums, der Typus des Philosophen und Gelehrten, in verschiedenen
Formen und Gestalten unter den Griechen sich ausprägt, wie die
griechische Volksmeinung sich zu ihm stellt, endlich wie sein eigenes
Lebensgefühl gewesen ist — dieses Stück griechischer Kultur-
geschichte möchte ich in einigen Umrissen zu zeichnen versuchen.
 
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