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Boll, Franz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 8. Abhandlung): Vita contemplativa: Festrede zum zehnjährigen Stiftungsfeste der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Stiftung Heinrich Lanz — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37775#0017
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Vita Contemplativa.

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der Weisheit zu begeistern; und Virgil schreibt aus dieser Welt-
anschauung die Zeilen, deren Kernwort über den Pforten der Mün-
chener Akademie zu den Vorübergehenden spricht:
Felix qui potuit rerum cognoscere causas
Atque metus omnis et inexorabile fatum
Subiecit pedibus strepitumque Acherontis avari.
Selig, wer es vermocht, zu erkennen die Gründe der Dinge
Und wer jegliche Furcht und das unerbittliche Schicksal
Unter die Füße trat und das Toben des gierigen Hades.
Find so reiht sich auch von dem Stoiker Poseidonios wiederum zu
Cicero und zu Seneca eines dieser stolzen Worte zur Verherrlichung
der Vita contemplativa an das andere, bis zu den schönen Versen
des letzten großen Astronomen des Altertums, des Claudius Ptole-
mäus, die anderthalb Jahrtausende später Tycho de Brahe und
Keppler wetteifernd in lateinische Verse übertragen haben. Sie
geben noch einmal nicht orientalischem, sondern reingriechischem
Empfinden Ausdruck.
Sterblich wohl bin ich, ich weiß es, des Tages Geschöpf. Doch
verfolg ich
Sinnend der Sterne Bahn, wie sie umkreisen den Pol,
Rührt nicht mehr an die Erde mein Fuß: Zeus selber zur Seite
Nähr ich beim göttlichen Mahl dann von Ambrosia mich.
Das Mittelalter hat dieses Glück des forschenden und erkennen-
den Lebens, das ihm Aristoteles und Augustin übermittelten, nicht
vergessen, und die Renaissance nimmt es mit neuer Wärme auf
in der von Jakob Burckhardt als eines der edelsten Vermächtnisse
der Renaissancekultur gepriesenen Rede des Pico della Mirandola
von der Würde des Menschen, den Gott geschaffen hat, damit er
die Gesetze des Weltalls erkenne und seine Größe und Schönheit
liebe und bewundere.
Das geistige Leben des Altertums ist erblüht auf dem Hinter-
grund heißer politischer Machtkämpfe, die der äußeren Existenz
des Einzelnen wenig verbürgte Sicherheit ließen und erst spät sich
zu einem müden Abendfrieden beruhigten, bis dann die Nacht
der Barbarei hereinbrach, nur erhellt von dem ewigen Licht in
stillen Klostermauerm Die Tage, die wir erleben, stellen alles
Überlieferte von neuem vor die Frage seiner Existenz; also auch

Sitzungsberichte d. I-Ieidelb. Akad.. philos.-hist. Kl. 1920. S. Abh.
 
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