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Schubert, Hans; Meissinger, Karl August; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 9. Abhandlung): Zu Luthers Vorlesungstätigkeit — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37776#0029
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Zu Luthers Vorlesungstätigkeit.

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fessio a prima longe lateque diversa est. gilt wohl nach jeder Rich-
tung hin.
Nicht nur mit der Schwierigkeit und Größe des Stoffes, son-
dern auch mit der Entstehungsweise mag dann freilich die Unzu-
friedenheit mit sich selbst Zusammenhängen, die ihn bedrückt.
Sie verfolgt ihn nun seine ganze Dozententätigkeit hindurch; es
ist die Spannung zwischen den Ansprüchen, die seine Gewissen-
haftigkeit an eine sorgsam vorbereitete und durchgearbeitete Vor-
lesung stellte, und dem, was er angesichts der Pflichtenlast, die
auf ihm ruhte, wirklich zu leisten vermochte; Luther war auch
darin der Vorgänger für Tausende seines Berufs nach ihm. Unter-
brach er doch einmal seine Vorlesung über den Koheleth für 14Tage,
>Veil er nicht mit der Stelle ins Reine kam, und, obgleich er meinte,
gerade hier Besonderes leisten zu können (W. A. XX. 12i7f ),
quälte ihn bald genug wieder die Schwierigkeit der Aufgabe
(28. August an Link, Enders V, 377). Schon bei jener zweiten
Psaltervorlesung wird ihm 1521 förmlich schlecht, sie ist seine
nausea (Enders III, 278). Fand er 1519, daß sie „einen ganzen
Mann“, virum integrum, erfordere, so findet er jetzt, daß sie drei
benötige (Enders II, 278. III, 100). Man begreift jetzt noch besser,
daß Luther zum Schlüsse seines Lebens unter dem negotium fast
erliegt und die Last der Vorlesung abschütteln möchte. Das oben
zitierte Schlußwort der Genesislektion: „Ich kann nit mehr, ich
bin schwach“ erfährt nun erst seine volle Beleuchtung. Auch ver-
steht man jetzt ganz, warum er nach den operationes in psalmos
keine Vorlesung mehr selbst herausgegeben hat. Er hatte gar
keine irgendwie druckfertige Niederschrift mehr, und zu einer
Glättung, einem formare, alere, parere nach dem concipere fehlte
ihm je länger je mehr die Zeit. Nach der Bibelübersetzung, der
mannigfachen Durcharbeitung des Stoffes in Glossierung, Predigt
u. a., dem immer tieferen Einleben in das Ganze und Einzelne
der Bibel schöpfte er in der Vorlesung wohl immer mehr unmittelbar
aus dem Vollen. Aus solcher Freiheit und Stoffbeherrschung heraus
erwuchs ihm aber zugleich der größte Fortschritt, das neue wissen-
schaftliche Grundprinzip, nach dem er, frei über dem Einzelnen
stehend, die alte, alles in Einzelheiten auflösende Glossiermethode
völlig hinter sich werfend, das Schriftstück zunächst als Ganzes
verstehen will. Es ging ihm mit voller Klarheit am Koheleth auf:
alle bisherigen Erklärungen sind „mehr Träume als Kommentare“.
Die erste Frage ist die nach dem Sinn und Zweck, dem scopus
 
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