Zu Luthers Vorlesungstätigkeit.
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daß Melanchthon sehr sorgfältig und Luther sehr flüchtig diktiert
hat. Luther setzt bei dem Zuhörer zu Adel voraus. Besonders die
Bibelzitate gibt er zu schnell und nicht selten undeutlich. Er
präsumiert seine eigene Bibelfestigkeit bei den jungen Studenten.
Er scheint zu meinen, jedermann schreibe so schnell wie er selbst.
Es ist durchaus nicht nur Schuld der Hörer, daß Avir mit allen
diesen Nachschriften so übel beraten sind, während sich Melanch-
thons Vortrag fast von Wort zu Wort mit großer Sicherheit Avieder-
herstellen läßt. Auch in diesem kleinen Zug erkennen wir den
sorgsamen Praeceptor Germaniae, mit einem kleinen Stich ins
Pedantische, neben dem genialen Eroberer geistigen Neulandes,
der nur Sinn für das Große hat.
Eine besondere Fehlerquelle ist Luthers sächsische Aussprache.
Es ist von hohem dialektgeschichtlichem Interesse zu sehen, wie
sehr diese Aussprache seit 400 Jahren sich gleich geblieben ist.
Wen das „Sächseln“ lächert, der möge daran denken, daß eben
dies das Idiom ist, in dem ein Luther gepredigt und gelehrt hat.
Luther spricht v fast Avie / aus. Für fere der Nachschrift
z. B. ist also öfter vere zu setzen und umgekehrt. In zwei Fällen
hört der Schreiber ferunt tarnen, wo Luther veruntamen meint.
Das j in maius spricht und sprach der Sachse ähnlich dem pala-
talen g: daher der Hörfehler magis. VerAvechselung von d und t
ist seltener von schlimmen Folgen: degunt statt tegunt.
Kein Saxonismus liegt bei den häufigen quod statt ut vor;
der umgekehrte Fall ist mir nicht erinnerlich. Nach dem Be-
fund der Hs. sind wir ohne weiteres berechtigt, für jedes quod,
wo es der Kontext wünschenswert macht, ein ut zu setzen.
An einigen Stellen verbessert der Schreiber seinen (gleichviel
ob von ihm oder von Luther verschuldeten) Hörfehler selbst,
gelegentlich setzt er quod und ut unschlüssig nebeneinander. —
Daß wir es mit einer größtenteils unmittelbar im Kolleg selbst
entstandenen Nachschrift zu tun haben, unterliegt keinem Zweifel.
Ich habe eifrig nach Lesefehlern gefahndet, ohne einen einzigen
zu entdecken. Zwar haben wir vielleicht an mehr Stellen als der
Herausgeber angenommen hat, mit „nachgerittenen“ Partien zu
rechnen. Aber auch in diesen gibt es keine typischen Lesefehler
- ein Beweis mehr, daß unser Schreiber, wenn er auch kein
großes Licht Avar, doch alles getan hat, was in seinen Kräften stand.
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daß Melanchthon sehr sorgfältig und Luther sehr flüchtig diktiert
hat. Luther setzt bei dem Zuhörer zu Adel voraus. Besonders die
Bibelzitate gibt er zu schnell und nicht selten undeutlich. Er
präsumiert seine eigene Bibelfestigkeit bei den jungen Studenten.
Er scheint zu meinen, jedermann schreibe so schnell wie er selbst.
Es ist durchaus nicht nur Schuld der Hörer, daß Avir mit allen
diesen Nachschriften so übel beraten sind, während sich Melanch-
thons Vortrag fast von Wort zu Wort mit großer Sicherheit Avieder-
herstellen läßt. Auch in diesem kleinen Zug erkennen wir den
sorgsamen Praeceptor Germaniae, mit einem kleinen Stich ins
Pedantische, neben dem genialen Eroberer geistigen Neulandes,
der nur Sinn für das Große hat.
Eine besondere Fehlerquelle ist Luthers sächsische Aussprache.
Es ist von hohem dialektgeschichtlichem Interesse zu sehen, wie
sehr diese Aussprache seit 400 Jahren sich gleich geblieben ist.
Wen das „Sächseln“ lächert, der möge daran denken, daß eben
dies das Idiom ist, in dem ein Luther gepredigt und gelehrt hat.
Luther spricht v fast Avie / aus. Für fere der Nachschrift
z. B. ist also öfter vere zu setzen und umgekehrt. In zwei Fällen
hört der Schreiber ferunt tarnen, wo Luther veruntamen meint.
Das j in maius spricht und sprach der Sachse ähnlich dem pala-
talen g: daher der Hörfehler magis. VerAvechselung von d und t
ist seltener von schlimmen Folgen: degunt statt tegunt.
Kein Saxonismus liegt bei den häufigen quod statt ut vor;
der umgekehrte Fall ist mir nicht erinnerlich. Nach dem Be-
fund der Hs. sind wir ohne weiteres berechtigt, für jedes quod,
wo es der Kontext wünschenswert macht, ein ut zu setzen.
An einigen Stellen verbessert der Schreiber seinen (gleichviel
ob von ihm oder von Luther verschuldeten) Hörfehler selbst,
gelegentlich setzt er quod und ut unschlüssig nebeneinander. —
Daß wir es mit einer größtenteils unmittelbar im Kolleg selbst
entstandenen Nachschrift zu tun haben, unterliegt keinem Zweifel.
Ich habe eifrig nach Lesefehlern gefahndet, ohne einen einzigen
zu entdecken. Zwar haben wir vielleicht an mehr Stellen als der
Herausgeber angenommen hat, mit „nachgerittenen“ Partien zu
rechnen. Aber auch in diesen gibt es keine typischen Lesefehler
- ein Beweis mehr, daß unser Schreiber, wenn er auch kein
großes Licht Avar, doch alles getan hat, was in seinen Kräften stand.